554 Ilebersicht der Ereignisse des Tahres 1870.
burg schlichtet sie nicht, die Murtener Großräthe legen ihre Vollmachten
nieder, aber der Bundesrath lehnt am 20. Juni die Begehren der Mur-
tener ab und diese beantworten das von der Freiburger Regierung ange-
ordnete Ausschreiben zur Wahl= neuer Großräthe damit, daß sie# zur Wahl
nicht erscheinen.
Im Kanton Tessin kommt es über der Berathung einer neuen Ver-
fassung zu einer vollständigen Trennung des Kantons in zwei Hälften
diesseits und jenseits des Cenere. Am 7. Juli treten 52 Abgceordnete der
Südceneriner aus dem Großrath des Kantons zu Bellinzona gus; sie
werden in Lugano festlich empfangen und eine Volksversammlung proclamirt
sofort die Ablösung vom Kanton. Eidgenössische Commissäre werden aus-
gesandt, um zu vermitteln und jede Trennung zu werhüten, aber die Süd-
ceneriner verweigern die Vornahme neuer Wahlen in reinen #gemeinsamen
Großrath) legen Berufung ein an die Bundesversammlung und diesenent-
scheidet am 24. December gegen sie.
An einem Lande, in dessen politisches Leben große kirchliche Fragen
tiefer cinschneiden, als irgendwo sonst, konnte, ein Ereigniß wie; das vati-
canische Concil nicht spurlos vorübergehen. Bereits am 4. März hhatte
die Diöcesanconferenz der zum Bisthum Basel gehörigen Kantonalregie-
rungen (Solothurn, Luzern, Bern,# Aargaus Thurgau, Baselland und Zug)
mit allen gegen die: Stimmen von Zug(wo am 2., Januax die-Ultramon-
tanen beiden Wahlen gesiegt) beschlossen, den bisherigen Vertrag über Er-
richtung cines Priesterseminars in Solothurn zu kündigen, um dadurch
ihren Widerwillen gegen den Geist kundzugeben, der in diesem Seminare
herrschte. Der Bischof von Solothurn protestirte am 1. Mai gegen diese
Beschlüsse, Luzern trat formell von denselben zurück, aber die Bewegung
wuchs. Eine’neue Diöcesanconferenz zu Solothurn richtete am 29. Aug.
eine Vorstellung an den Bischof von Basel gegen eine etwaige Verkündung
der päpstlichen Unfehlbarkeit und eine andere an den Bundesrath, der ge-
eignete Maßnahmen versprach, und am 28. Oktober verweigerte Zürich
einem Hirtenbriefe des Bischofs von Chur, das obrigkeitliche Placet, das
Glarus in demselben Falle nur mit: Einschränkungen gewährte.
Von dem deutsch-französischen Kriege ward die Schweiz. während
dieses Jahres nur in soweit berührt als sie, von Seiten beider Kriegfüh-
renden ausdrücklich der Anerkennung zihrer Neutralität versichert, zum Be-
hufe der Wahrung ihrer Grenzen 10,000 Mann unter dem General
Herzog in Waffen rufen mußte.