556 Nebersicht der Ereignisse des Jahres 1870.
lands vertheidigte, auch die Selbständigkeit des fremden Nachbars deckte.
Sein und Nichtsein dieses Staates hing ab von dem Glück der dentschen
Waffen- und von- ihn allein. Gegen die nothwendigen Folgen eines fran-
zösi ischen Sieges ibürde die belgische Armec ebenso wenig geschůͤtzi häben,
als jene papierne Neutralitätserklärung, die Lord Granville am 30. Juli
vomm den Cabinetken Europa's eingefordert. Hätte selbst Frankreich den
Vertrag wirklich unterschrieben, wie es das noch bis zum 8. August unter
für dies arglose Gemüth durchaus nicht beunruhigenden- Vorwänden ber-
weigert hat: was wollte eine solche formelle Verpflichtung heißen, wenn
das Regiment, das eben jebe Scham mit Füßen getreten hatte, um mit
Preußen anzubinden, auch noch burch große Siege berauscht gewesen ibãrt?
Durch England wurde in dem Fall Belgien gewiß nicht mehr Glreike,
selbst wenn dessen Kriegslust größer gewesen wäre) als si ie sich in. der
Verpflichtung aussprach, im Falle einès Angriffs äuf die Neutralität Bel-
giens sie vertheidigen zu helfen, aber „keineswegs an den llgeineinen
Operationen des gegenwärtigen Krieges theilzunehmen“ Eine sprechende
Erinnerung an das Wort eines englischen Diplomaten vom 47374 „Wir
müssen Kaufleute bleiben, auch wenn wir Krieger sind.“
Dieibelgische Regierung kain den militärischen und politischen Ver-
pflichtungen eines neutralen Staates, an dessen Grenzen ein Weltkrieg
tobt, mit tadelloser Strenge nach, die Presse des Landes aber bsfenbarte
in ihrer überwiegenden Mehrheit eine fanatische Erbitterung gehen bie
Deutschen, die Belgien vertheibigten und die empörenden Nohheiten“ denen
unsere zu den Fahnen eilenden Landsleuke, wie die von Haus und Hof
aus Frankreich vertriebenen Familien auf allen Stationen in Belgien.
durch den städtischen Pöbel ausgesetzt waren, bewiesen, daß der Geist dieser
Bevölkerung sich in jenen Blättern deutlich wiederspiegelte, daß dem Lätibe,
mit Ansnahme seiner unterdrückten vlämischen Bevölkerung, nur sein Recht
geschehen wäre, wenn es die Einverleibung ins Kaiserreich der französischen
„Freiheit und Cibilisation“ vollends theilhaftig gemacht hätte.
In dem herkömmlichen Stillleben des Königreichs Hollanb herrschte
1870 mehr Bewegung als gewöhnlich. Die lächerliche Angst fast aller
Parteien vor Einberleibungsplänen, an die im neuen Deutschland kein
Mensch denkt und die durch Nichts sicherer zu entwaffnen wären, als durch
vertrauensvolle Loyalität im internationalen Verkehr, verrieth sich an einem
sehr ungeeigneten Orte, als die II. Kammer am 25. Mai einen zwischen
den deutschen Rheinuferstaaten und der holländischen Regierung abgeschlos-