562 Uebersicht der Ereignisse des Fahres 1870.
und die französische Flotte beschäftigte sich von nun ab in Ostsee und Nord-
see mit jenem ruhmvollen Handwerk völkerrechtswidriger Seeräuberei, das
durch den Sturz des Kaiserthums nicht die mindeste Unterbrechung erlitt.
Dänemark aber blieb allein mit seiner Wittwentrauer. In Orla
Lehmann, der am 12. September starb, begrub es den unbekehrbarsten jener
Fanatiker, die den Schleswig-Holsteinern einst „mit blutigen Striemen auf
den Rücken schreiben“ wollten, daß sie Dänen seien. Eine Zeit hatte für
dies eitle Volk begonnen, wo ihm die prosaischste Lebensklugheit gebot,
den Träumen von ehedem ohne Rückkehr zu entsagen und dem Studium
der isländischen Frage und anderer heimischen Dinge jene Sorge zuzuwen-
den, die bis dahin von ebenso fruchtlosen als gefahrvollen Kriegs= und
Nacheplänen allein war in Anspruch genommen worden.
Von Schweden und Norwegen ist aus dem Jahre 1870 nichts
Bedeutendes zu melden, als daß ihm der deutsche Krieg, in dem es sich
trotz ungeheuchelter Sympathie für Frankreich neutral verhielt, den Anlaß
gab zu einem Armeereformentwurf auf Grundlage der allgemeinen Wehr-
pflicht (18. December), einer Neuerung, zu der der Kaiser von Rußland
schon im Monat vorher einleitende Schritte gethan.
Der auswärtigen Politik des Czarenreichs war zu danken, daß aus
dem deutsch-französischen Kriege kein allgemeiner Weltbrand hervorgegangen
ist. Das Verdienst dieser Haltung aber kam ausschließlich der Person des
Kaisers Alexander II. zu, der keine Gelegenheit versäumte, durch Glück-
wünsche und Auszeichnungen seiner Freude über die deutschen Siege offen-
kundigen Ausdruck zu geben. Die Stimmung im Lande war, soweit nach
der Presse geurtheilt werden konnte, eine völlig andere und der Hof des
Großfürsten stimmte mit ihr überein. Die Erfolge der deutschen Waffen
hatten in dem Lager des durch und durch mit französischem Wesen ge-
tränkten slavischen Radicalismus einen fanatischen Deutschenhaß geweckt,
der bei jeder neuen Siegesbotschaft tobend zum Ausbruch kam, und so
führte die Presse desselben Staates, der alle anderen Mächte zur Neutra-
lität nöthigte, den Chorus jener Deutschenhetze an, die sich fast in allen
nichtdeutschen Ländern und neuerdings selbst in der deutschen Schweiz wie
eine öffentlich eingestandene, berechtigte Eigenthümlichkeit einzubürgern be-
gonnen hat.
Der nächste Anlaß zu dieser Stimmung des eingefleischten Russen-
thums, an deren Spitze der Großfürst-Thronfolger selber steht, liegt, ganz
abgesehen von den Weltherrschaftsträumen der panflavistischen Partei, in