Full text: Europäischer Geschichtskalender. Elfter Jahrgang. 1870. (11)

Preußen und der norddeutsche Pund. 51 
Bezug auf Süddeuilschland nicht ein kostbares Stück nationaler Einheit erreicht? 
Ich kann dreist behaupten: übt nicht das Präsidium des norddeutschen Bundes 
in Süddeutschland ein Stück kaiserlicher Gewalt, wie es seit 500 Jahren unter 
der Herrschaft der deutschen Kaiser nicht der Fall gewesen ist? Wo ist seit der 
Zeit der ersten Hohenstaufen ein unbestrittener Oberbefehl im Kriege und eine 
wirthschaftliche Einheit in den deutschen Landen gewesen? Unterschätzen Sie 
das nicht, sondern genießen Sie einen Augenblick froh, was Ihnen beschieden 
ist. (Heiterkeit.) Was die badische Kriegscontribution betrifft, so hat Niemand 
etwas darin gefunden, daß Sachsen, dessen Bevölkerung sicher in ihrer Mehr- 
heit gegen einen Krieg mit uns gestimmt war, mit einer Contribution belegt 
wurde; aus denselben Gründen hat der König der Contribution, die Baden 
auferlegt wurde, zugestimmt. Wir wollten nicht strafen, sondern erreichen, 
was national richtig und nützlich schien. Hr. Lasker sieht in der Aufnahme 
Badens den Anfang der Vollendung des Bundes; ich sehe darin nicht bloß 
einen Anfang der Hemmung, sondern einen ziemlich dauernden Hemmschuh 
des Weiterarbeitens. Ich kann nur dringend bitten, daß Sie der gegenwär- 
tigen Leitung der auswärtigen Angelegenheiten des Bundes, der Sie nament- 
lich beim Zustandekommen der Verfassung Vertrauen, mitunter in einer mich 
beschämenden Weise, bekundet haben, dieses Vertrauen nicht dadurch beweisen, 
daß Sie den Antrag annehmen. Ich würde das als ein Zeichen des Miß- 
trauens ansehen. Miquel: Der Antrag hat bereits einen sehr bedeuten- 
den Erfolg gehabt: die Erklärung des Bundeskanzlers, daß er keinen ein- 
zelnen süddeutschen Staat in den Bund aufnehmen will, wenn er nicht ganz 
Süddeutschland haben kann. (Nein! Nein!) So habe ich es wenigstens ver- 
standen. Diese Erklärung muß in ganz Süddeutschland unsere Freunde ent- 
muthigen und unsere Gegner mit Zuversicht erfüllen. Diese Erklärung heißt 
die Lösung der deutschen Frage ad graecas calendas vertagen. In dieser 
Frage darf man aber nicht stille stehen; je entschlossener wir sind, desto ent- 
muthigter wird die ultramontane Partei in Süddeutschland werden. Der 
Bundeskanzler spricht vom Zollverein; nun, ich erkläre ganz bestimmt, daß 
ich und meine Freunde längst entschlossen sind, den Zollverein nur mit 
denjenigen süddeutschen Staaten zu erneuern, welche bei dieser Gelegenheit in 
den deutschen Bund eintreten. Wir haben in unserm Antrage dem 
Bundeskanzler kein Mißtrauensvotum aussprechen, sondern nur unserer Ueber- 
zeugung Ausdruck geben wollen in Bezug auf das, was in Betreff Badens 
geschehen müsse; und ich glaube, daß der Neichstag dem wird zustimmen 
müssen. Es gibt in Preußen allerdings auch eine zahlreiche Partei, welche 
mit den erreichten Erfolgen zufrieden ist, am Main stehen bleiben und von 
Süddeutschland überhaupt nichts wissen will; aber eben deshalb ist es die 
Pflicht des Reichstages, zu sprechen, sonst ermuthigt man die Bestrebungen 
dieser patriotischen Partei in Bayern. Unter allen Umständen aber muß volle 
Klarheit werden über die Lage, damit das deutsche Volk wisse, woran es ist. 
Die Politik Preußens muß sich richten nach dem Geiste der Nation, und sie 
wird das schließlich auch in der vorliegenden Frage. Graf Bismarck: Was 
versteht der Vorredner unter Volkspolitik! Etwa die Politik, die uns 1866 
mit Adressen bestürmte, diesen Krieg nicht zu führen? (Sehr gutl rechts.) 
Wir haben auf diese Politik nicht gehört und haben bessere Volkspolitik ge- 
trieben. (Zustimmung rechis.) Ich bin halb und halb in der Ansicht hieher 
gekommen, mich dem Ansinnen, daß ich mich hier öffentlich über Fragen eu- 
ropäischer Politik aussprechen soll, zu widersetzen; aber man zwingt mich, zu 
sprechen, wenn ich nicht allen Mißdeutungen ausgesetzt sein will. Sie meinen, 
Sie verstünden die auswärtige Politik besser als ich; ich aber meine, ich ver- 
stehe sie besser als Sie, und solange ich Bundeskanzler bin, muß ich die aus- 
wärtige Politik eben nach meiner Vorstellung leiten. (Zustimmung rechts.) 
Ich habe kein Wort davon gesagt, daß ich keinen einzelnen süddeutschen Staat, 
sondern nur ganz Süddeutschland auf einmal in den Bund aufnehmen wolle. 
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