Preußen und der norddeutsche Pund. 59
30. März. (Nordd. Bund). Der Reichstag erklärt sich auf den Antrag
von Lasker, Bernuth und Hoverbeck mit 117 gegen 73 Stimmen
für baldige Revision der Militärstrafgesetze.
Der Antrag ist auch darauf gerichtet, spätestens gleichzeitig mit der
neuen Strafprozeßordnung eine Reform der Militärgerichtsbarkeit vorzuberei-
ten, auf der Grundlage, daß das Militärstrafverfahren mit den wesentlichen
Formen des ordentlichen Strafprozesses umgeben und die Zuständigkeit des
Militärgerichts im Frieden auf Dienstvergehen der Militärpersonen beschränkt
werde. Kriegsminister v. Roon erklärt, der Entwurf eines Militärstraf-
gesetzbuches sei ausgearbeitet, von der weiteren geschäftlichen Behandlung des-
selben aber Abstand genommen worden in Folge der wohlbegründeten und
seitdem bestärkten Zweifel an dem Zustandekommen des Civilstrafgesetzbuches.
Laker spricht in seiner Schlußrede die Ueberzeugung aus, daß die fernere
Aufrechthaltung der Verschiedenheit im Strafverfahren zwischen Militär und
Civil geradezu unmöglich sei.
Auf den Antrag von Migquel wird beschlossen:
es möchte durch einen Gesetzentwurf die Ausgabe von Staatspapier-
geld im Bunde in derselben Weise beschränkt werden, wie es rücksichtlich der
Ausgabe von Banknoten nunmehr geschehen sei und auch die Ertheilung von
Concessionen zur Ausgabe von Papiergeld an die Genehmigung der Bundes-
gesetzgebung geknüpft werden. Bassewitz (Mecklenburg, gegen dessen kürzlich
erfolgte Ausgabe von Renteikassenscheinen der Antrag hauptsächlich gerichtet ist)
bekämpft ihn umsonst damit, daß er darin eine verfassungsmäßige Beschrän-
kung des Finanzhoheitsrechts der Einzelstaaten erblickt. s
1. April. (Nordd. Bund). Reichstag: Etat für 1871. Heftige
Debatte über ein Aversum Preußens an die Bundeskasse für Besor-
gung auswärtiger Angelegenheiten. Dasselbe wird schließlich mit
112 gegen 74 Stimmen bewilligt.
In der Debatte gehen die Wogen so hoch, daß man lebhaft an den Ton
der Conflictszeit im preußischen Abgeordnetenhause erinnert wird. Graf Bis-
marck namentlich spricht in so großer Erregung, wie er sie in dieser Session
noch nicht hat merken lassen. Es handelt sich um die Bewilligung von
30,000 Thlrn. besonderes Aversum Preußens an die Bundeskasse für beson-
dere Mühewaltungen, welche die Bundesverwaltung den auswärtigen Angele-
genheiten für den preußischen Staat leistet. v. Hoverbeck erinnert daran,
daß das preuß. Abgeordnetenhaus diese 30,000 Thlr. für das Jahr 1870
als außerordentliche einmalige Ausgabe gewährt habe, so daß sie für 1871
hier nicht angesetzt werden könne, ohne Zustimmung des preuß. Landtages.
Dr. Löwe, Lasker 2c. legen Gewicht darauf, daß im norddeutschen Bunde
nur Ein auswärtiges Amt als berechtigt anzuerkennen sei. Der Bundeskanz-
ler vertritt die Etatsposition, indem er hervorhebt, daß preuß. Geschäfte von
Bundesbeamten besorgt werden, wozu letztere nicht verpflichtet seien, daß der
Bund den preußischen Ministerpräsidenten besolde. Aber er geht weiter und
behauptet, daß die Beschlüsse des preuß. Landtags hier nicht in Betracht kom-
men, weil dieser sich einem Beschlusse des Reichstages fügen müsse; der preuß.
Landtag wisse, daß die Bundesverfassung der Landesverfassung vorgehe, und
wenn der Reichstag diese Summe fordere, so werde jener sie auch bewilligen.
Da Lasker die letztere Auffassung des Bundeskanzlers ablehnt, greift Graf
Bismarck dazu, ihn des Particularismus zu beschuldigen, um seine Rechts-
auffassung festzuhalten. ·
Das Etatsgesetz für 1871 wird in zweiter Lesung zu Ende be-
rathen und genehmigt.