Das deutsche Reich und seiue einzelnen Glieder. (Nov. 24.) 195
Berathung des Etats des Reichseisenbahnamtes erfolgt eine Art
zwangsloser Conversation über den Ankauf der deutschen Eisenbahnen
seitens des Reiches.
Die Empfehlung dieses Projektes, mit dem sich angeblich die Reichs-
regierung beschäftigt, hatte Hr. Stumm von der deutschen Reichspartei über-
nommen. Der Redner entwickelt, daß die Lösung der Aufgabe des kaiserlichen
Reichseisenbahnamts, nämlich die deutschen Eisenbahnen zu großen natio-
nalen Verkehrsstraßen" zu machen, wie Hr. Maybach, der Präsident dieses
„Amtes“, sich nachher ausdrückt, nur durch Ankauf der Eisenbahnen durch
das Reich ermöglicht werden könne: „ein einheitlicher niedriger Tarif an
Stelle der jept bestehenden 1357, eine einheitliche billige Verwaltung. — Hr.
Stumm berechnet, daß von den Kosten der Generaldirektionen, welche jetzt
78,Mill. Mark betragen, mindesiens 26 Mill. gespart werden könnten —
u. s. w. Die Ausführung dieser Idee in dem jetzigen günstigsten Augenblicke
würde sogar vor künftigen Uebeln 47 nämlich vor der sonst unvermeid-
lichen Reaktion auf dem wirthschaftlichen Gebiete. Bamberger, wohl an-
gekränkelt von dem Zweifel an der A#usführvarkeit dieses großen Gedankens,
den er gelegentlich auch einen utopistischen nennt, bringt von Gegengründen
eigentlich nur den vor, daß England bei dem Ankauf der Privattelegraphen=
linien durch den Staat ein schlechtes Geschäft gemacht habe. Ausführbar
sei der Gedanke nur, wenn die Reichsverwallung durch Einsetzung verant-
wortlicher Minister consolidirt sein würde — was wohl als Vorbedingung
für die Zustimmung der nationalliberalen Partei gemeint ist — und wenn
Männer an der Spipe der Reichsverwaltung ständen, welche dieser kolossalen
Aufgabe gewachsen seien. Lasker bekennt sich mit einer leisen Reminiscenz
an die unglückliche preußische E als unbe-
dingter Anhänger der „Staatsbahnen“ , v Kardorff, obgleich principieller
Gegner der Staatsbahnen, erklärt sich dennoch für die Meichebahnen, auch
ohne verankwortliche Reichsminister, und Sonnemann, ein Haupthin-
derniß des Projektes darin fieht, daß die Mittelstaaten, Therrn die süd-
deutschen, ihre Staatsbahnen abzutreten nicht geneigt sein würden, rieth
Preußen, die Initiative zu ergreifen.
24. November — 10. Dezember. (Deutsches Reich.) Reichs-
tag: Die Budgetcommission beschließt einstimmig, die beiden neuen
Steuervorlagen abzulehnen und das dadurch entstehende Deficit im
Budget mit 15,820,000 Mk. durch Abstriche in den einzelnen Etats,
durch Erhöhung mehrerer Einnahmeansätze und durch Einstellung
neuer Einnahmen (aus den Zinsen der französischen Kriegsentschädi-
gung und dem Ueberschuß des laufenden Jahres) wieder ausgzuglei-
chen. Es zeigt sich bei dieser Gelegenheit ganz unzweifelhaft, daß
die Finanzlage des Reichs eine nichts weniger als bedenkliche ist.
24. November. (Preußen.) Zusammentritt der außerordent-
lichen preußischen Generalsynode behufs Feststellung der ihr vom
Oberkirchenrathe vorgelegten Synodalordnung. Eröffnungsrede des
Präsidenten des Oberkirchenraths, Dr. Hermann, als k. Commissärs.
Die Synode wählt den Grafen Otto Stolberg zu ihrem Präsidenten
und tritt sofort in die Generaldebatte über die Synodalordnung ein.
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