Die österretchisch= ungarische Monarchie. (Okt. 29.) 245
Wildauer zugespitzt und in diesem Sinne amendirt. Dadurch erhielt aber,
was von Haus aus ziemlich den Charakter einer harmlosen Demonstration
hatte, eine politische und nicht unbedenkliche Bedentung. Die Polen beslan-
den auf ihrem Schein und drohten den Reichsrath zu verlassen, wenn ihnen
ein durch kaiserliche Verordnung gewährtes Vorrecht abgesprochen würde. Um
diese Secession, die der Sache der Verfassung nicht frommen konnte, zu ver-
hüten, bewog das Ministerium die Verfassungspartei, die Berathung des An-
trages Wildauer auszusetzen. Heute aber ließ sich ein fernerer Aufschub nicht
erzielen. Da erscheint eine neue kaiserliche Verordnung, welche verfügt, daß
künftighin die Ernennung der Direktoren an den staatlichen Mitlelschulen
in Galizien durch den Kaiser und jene der Lehrer durch den Minister für
den Unterricht zu erfolgen habe, also nicht wie bisher im Wege der Landes-
behörde. Durch diese Verordnung erscheint aufgehoben, was damals gewährt
wurde, und der Streit, ob der Reichsrath das Recht habe, eine kaiserliche
Entschließung zu derogiren, ist gegenstandslos geworden. Dadurch entfällt
auch das Amendement, das der Ausschuß zum Wildauer'schen Antrage stellte
und welches die Quelle hefliger polnischer Beschwerden geworden war.
29. Oktober. (Oesterreich.) Abg.-Haus: Die Regierung legt
demselben das von früheren Ministerien wiederholt angekündigte,
aber niemals vorgelegte Eifenbahnprogramm endlich vor.
Formell geschieht dies durch eine Creditvorlage, in welcher die Regie-
rung für die von ihr zunächst als Leinelih erkannten Hauptbahnen: die
Donau-Uferbahn, die Arlberg-, Predilbahn, ferner für die normalspurigen
Lokalbahnen: Bozen-Meran, Kriegsdorf-Römerstadt, Czernowicz-Nowosielica,
ferner für die schmalspurigen Secundärbahnen: Mürzzuschlag-Neuberg, Cilli-
Unterdrauburg-Wolfsberg, Freudenthal-Freiwaldau, für das Jahr 1876 einen
Credit von 12,350,000 fl., ferner für den Ausbau der schon im Bau befind-
lichen Staalsbahnen u. f. f. einen Credit von 11,350,000 fl., in Summa
daher den beträchtlichen Betrag von 23.7 Mill. beansprucht. Der Wichtigkeit
dieser Vorlage, welche auf eine Reihe von Jahren hinaus den österreichischen
Staatssäckel mit dem Gesammterfordernis von 76.5 Mill. belastet und das
österreichische Eisenbahnnetz um rund 200 Meilen vergrösßert, entspricht die Mo-
tivirung, welche der Faubelministe Nitter v. Chlumebky der Vorlage selbst bei-
gibt, und in der er das eigenkliche Eisenbahnprogramm, d. h. die Grundzüge,
von denen sich die Regierung in Zukunft in Eisenbahnfragen leiten lassen
wird, entwickelt. Mit großer Schärfe beleuchtet der Minister zunächst die
bisherigen Mängel des Eisenbahnbaues, und die Verurtheilung der plan= und
ziellos mit und ohne Staatssubvention ertheilten Eisenbahnconcessionen, mit
einem Worl: der Kirchthurmpolitik auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens, des
auf diesem Gebiete getriebenen Vinansschwindets u. s. f. erfolgt in schonungs-
losester, vom Hause beifälligst begrüßter Weise. In der Sache selbst unter-
scheidet der Minister zwei Wege, die von nun ab die Regierung zur Reform
des Eisenbahnwesens betreten will. Zunächst soll im Wege der Legislative
durch ein neues Expropriationsgesetz, durch eine neue Betriebsordnung, durch
ein Concessionsgesey den bisherigen Mißbräuchen ein Damm geseht werden.
Ein interessantes Schlaglicht auf diese letzteren wirft die Bemerkung des Mi-
nisters: die von ihm als Bahnen zweiten Rangs (Lokalbahnen) bezeichneten
Linien nur dann concessioniren zu wollen, wenn der Grund und Boden von
den zunächst Interessirten unentgeldlich oder zum niedrigsten Preise hergegeben
werde, weil, wie der Minister behauptet, man selbst bei den aus den betref-
fenden Distrikten am meisten begehrten Linien den schließlichen Bau zum Ge-
genstand der unerhörtesten Ausbeukung bei der Grundeinlösung gemacht habe.