Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

Ele etiemannische Pforte. (Okt. 15.) 495 
präsident Kaljewitsch führt das Ministerium bei derselben mit fol- 
gender Rede ein: — 
.Brüder! Wir Alle kennen die Verhällnisse, in welchen wir uns be- 
finden. Die Schwierigkeit der Lage würde viel größeren Kräften, als es die 
unserigen find, nicht gestatten, zu viel Selbstvertrauen zu hegen. Die Heilig- 
u der patriolischen Hi#- aber erhöht in solchen Momenten die Entschlossen- 
Willens und flößt eine Kraft ein, die sich durch die Einheit des 
Agemeinen Volksbewußtseins und Gefühles erwärmt und sleigert. In sol- 
chen Momenten die Ehre und Würde Serbiens, unseres theuren Vaterlandes, 
das die Hoffnung der leidenden Brüder ist, zu wahren, die serbischen Inte- 
ressen zu fördern und für des Volkes Zukunft zu sorgen — dies ist unser 
Aller Pflicht. Diese Pflicht muß auch als eine heilige Pflicht der fürstlichen 
Regierung betrachtet werden. Daher haben wir, ohne unsere Kräfte zu Über- 
chöpen, dem fürstlichen NRuf zu folgen gewagl, indem wir uns einerseits auf 
das kostbare Vertrauen des Fürsten stüßzten, anererleita aber auch auf euere 
patriotische Unterstützung rechneten. Die Bürde, die wir auf uns luden, ist 
groß; wenn Ihr aber, geehrte Vertreter, uns da#t dieselbe “7*. tragen, und 
zwar mit k n solcher #uschiedendeit mit welcher wir fie übernahmen, dan 
könnten wir gemeinschaftlich hoffen, dem Fürsten und Volke int gehobenem 
Angesichte sagen zu können: „„Sie vertrauten uns, und wir haben Sie nicht 
beschämt. Serbien und das Serbenthum haben von uns Das erhallen, was 
wir ihnen in diesen Zeiten geben konnten.“* Als Serben und aufrichtige 
Patrioten begegnen wir uns brüderlich. Lasset uns mit vereinten Kräften 
für das Wohl und Glück der serbischen Nation und seines Fürsten Milan 
arbeiten. Dann kann noch mit Gottes Hilfe alles gut werden. Es lebe der 
Fürft! Es lebe die Nation 
Die Skupschtina begrßt diese Ansprache mit dem Rufe: „Es 
lebe der Fürst, es lebe die Nation!“ Ministerpräsident Kaljewitsch 
stellt Reformen in Aussicht: auf dem Gebiete des politischen, bkono- 
mischen, culturellen, finanziellen und administrativen Lebens, Ver- 
vollständigung der militärischen Organisation und der Organisation 
der allgemeinen Wehrkraft, ernstliche Sicherung der persönlichen Frei- 
heit, freie Presse, Vereins- und Versammlungerecht und andere öffent- 
liche Freiheiten, die in anderen Ländern schon längst zum Gemein- 
gut geworden sind. „Man muß nicht nur für sich, sondern auch 
für die Nachwelt arbeiten“ — fügt Kaljewitsch unter allgemeinem 
Beifall hinzu. 
Serbien hat inzwischen schon unter dem Ministerium Ristitsch 
an der Grenze gegen Bosnien 22,000 Mann Truppen und Milizen 
aufgestellt und auch das neue Ministerium Kaljewitsch fährt fort, 
mit Eifer zu rüsten. Die öffentliche Meinung ist entschieden über- 
wiegend für einen Eintritt Serbiens in den Krieg gegen die Türken. 
15. Oktober. Die türkische Regierung sieht sich doch genöthigt, 
zu erklären, daß ihre Bankerott-Maßregel auf die von England und 
Frankreich garantirte Anleihe von 1855 keine Anwendung finde.
	        
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