Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

536 Medersicht der pelitischen Enlwichelung des Jahres 1875. 
mit Hülfe der Kirche und der Hierarchie würde haben halten können. 
Aber wenn man auch in Rom für Frankreich am liebsten die Rück- 
kehr zur legitimen Monarchie gesehen hätte, im Grunde ist ihm jede 
Regierungsform gleichgültig und recht, wofern sie sich nur seinen 
Zwecken unterordnet. Und warum sollte das nicht möglicher Weise 
auch von Seite eines republikanischen Frankreichs zu hoffen stehen? 
Für den Augenblick wenigstens war es wirklich der Fall, so weit es 
die Verhältnisse nur immer erlaubten. Auf den Marschall Mac 
Mahon glaubte man in Rom und nicht ohne Grund zuverlässig 
zählen zu können und das erste Cabinet unter Buffet als Vorsitzen- 
dem, das er sich seit dem Ueberwiegen der republikanischen Tendenzen 
in der Nationalversammlung gewählt hatte, war ein entschieden cle- 
rical gefärbtes, Buffet selbst ein Werkzeug, wie es sich Rom nur 
wünschen konnte. Und hart an der Grenze Frankreichs, in den spa- 
nischen Nordprovinzen, hielt sich der Prätendent Don Carlos trotz 
aller Angriffe aufrecht, bigott und beschränkt, wie der größere Theil 
der Bevölkerung Nararra's und der baskischen Provinzen, ganz ein 
Mann nach dem Herzen Roms. Daß er es dazu bringen werde, 
siegreich in Madrid einzuziehen und sich zum Könige von ganz 
Spanien krönen zu lassen, war nachgerade freilich sehr zweifelhaft 
geworden, aber dafür hatte sich die Regierung des neuen Königs 
Alfons in Madrid, um sich den republikanischen Parteien gegenüber 
halten und dazu auf die Katholiken stützen zu können, bereit erklärt, 
das Concordat mit Rom von 1851 wieder herzustellen; Rom aber 
konnte nichts besseres verlangen, kaum sogar mehr wünschen, zumal 
die Madrider Regierung daneben noch von sich aus eine Reihe von 
Maßregeln in's Werk setzte, die ganz im Sinne und im Interesse 
der römischen Kirche waren. Gang ebenso günstig für den römischen 
Papst lagen die Dinge in Italien nicht; doch war es immerhin 
etwas, daß die italienische Regierung es neuerdings ablehnte, den 
Kampf wider die Ansprüche der Hierarchie in der energischen Weise 
Deutschlands zu führen, und daß der römisch-kirchlich gesiunte Theil 
der Nation, der sich vom politischen Leben und Treiben bisher fern- 
gehalten hatte, obgleich er anerkannter Maßen durch seine Zahl in 
der Lage wäre, ein schweres Gewicht in die Wagschaale zu werfen, 
es deutlich an den Tag legte, daß er nur auf den Ruf des Papstes 
warte, um nunmehr thätig in die politische Arena einzutreten. Je- 
denfalls schwankt Italien zwischen Frankreich und Deutschland und 
wird von dem einen nicht minder angegogen als von dem andern,
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.