68 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 3.)
3. März. (Bayern.) II. Kammer: Der Abg. Sepp richtet
an die Regierung eine Interpellation über den argen Mißbrauch,
welchen die katholische Kirche mit den sog. gestifteten Messen treibt,
indem sie das Geld für solche Stiftungen einstreicht und damit,
zumal im bayerischen Oberland, gewaltige Vermögenssummen an-
häuft, die gestifteten Messen aber zum weitaus größten Theile nicht
liest. Die ultramontane Partei begleitet die Verlesung der In-
terpellation mit erzwungenem Lachen. Die Enthüllung der meist
bisher unbekannt gebliebenen Thatsachen macht auf die öffentliche
Meinung großen Eindruck und zwar entschieden zum Nachtheil des
katholischen Clerus und der katholischen Kirche.
Die Interpellation lautet im Wesentlichen: Es ist dem heranwachsen-
den Volke empfindlich, daß so viele Eltern ihr Vermögen zu Stiftungen
hergeben, während doch Niemand weiß ob diese auch nur gehalten werden
können. Das Cultusvermögen für Oberbayern beträgt 21 Millionen, und
der jüngste Jahresnachweis zeigt einen jährlichen Zuwachs von bereits ¼
Million durch immer neue Fundationen. Seit 1831 haben diese Zuflüsse
von jährlich 180,000 fl. auf 241,219 fl. sich gesteigert. Das Verhältniß
der Stiftungen zu einander stellt sich seit 40 Jahren auf 93¼ Percent
für Cultus- oder Meßdienst, 2½ für Schulen, 4 2/3 für öffentliche Wohl-
thätigkeit. Nur in Städten entfällt für letztere mehr. Ein solcher Zustand
findet sich in der ganzen Christenheit nicht wieder. Die überwiegenden Stif-
tungen kommen einer ungeheuren Steuer gleich. Das Familien- und Ge-
meindevermögen ist halb verzehrt, indessen die Aufbesserung der Schulen,
Versorgung der Armen, Wittwen und Waisen, überhaupt die Umlagen bald
unerschwinglich erscheinen. Nach römischem Grundsatz, verlautbart seit Papst
Innocenz IV., 1243—1254, wie er auch in der Denkschrift des vom 1.—20. Ok-
tober 1850 zu Freising versammelten bayerischen Episcopats Ausdruck findet,
ist „die einzelne Kirchengemeinde nicht Eigenthümerin des Kirchenvermögens“.
Dasselbe kann außer Landes gehen und besteht ein schwunghafter Meßhandel.
Ich weiß nicht, ob die hohe Staatsregierung davon Kenntniß hat, wie schon
nach der Erklärung des Concils von Trient, worauf sich Papst Benedict XIV.
beruft, die Zahl der auf ewige Zeiten gestifteten Messen eine so ungeheure
ist, daß es längst unmöglich geworden. sie zu celebriren, ferner daß die Ver-
minderung dieser Last durch Einziehung einer Anzahl oder Unzahl ein Re-
servatrecht des Apostolischen Stuhles bildet. Durch päpstliches Decret vom
2. December 1850 wird die „Ueberlast" dieser Stiftungen gegebenenfalls
soweit vom Seelsorge-Clerus abgewälzt, daß, wie im „Archive für Kirchen-
geschichte und Kirchenrecht“ von Ginzel, I., 203, mit Textangabe zu lesen ist,
in Zukunft für den Bezug von je 100 fl. Rente (aus dem Religionsfonds)
nur zehn, für je 10 fl. nur Eine Messe zu persolviren ist. Da nun zu einer
Rente von 100 fl. das vierpercentige Vermächtniß von 2500 fl. erforderlich
ist, so wären von dleser Summe 2250 fl. rein in die Isar oder den Tiber
geworfen, und der Stifter erlangt von seiner Intention nicht mehr, als was
er oder seine Erben jährlich für 6 fl. haben können, nämlich zehn Messen.
Notorisch bilden bei jeder Pfarrers-Verlassenschaft die rückständigen Messen
Verlegenheiten, auch pflegen nach Ableben des Stifters oder seiner Familie
die Stiftungen regelmäßig einzuschlafen. Die ganze Reihe von Thatsachen
begründet den lauten Wunsch, die hohe Staatsregierung wolle als Ober-
Curatelbehörde die Entlastung der Kirchen von unausführbaren Stiftungen