Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 4.) 71
sie die gedachte Ordre mit Recht —, so weit sie von diesem Staate Nutzun-
gen und Leistungen bezieht, diese nur beziehen kann und darf, so weit und
lange sie die Majestät des preußischen Staates und seiner Gesetze achtet und
anerkennt. Der Grundsaß gilt auch für die katholische Kirche in den neu
erworbenen Provinzen; die Circumscriptionsbulle für das vormalige König-
reich Hannover „Impensa Romanorum pontificum sollicitudo“ ist durch das
Patent vom 20. Mai 1824 landesherrlich genehmigt worden, und zwar kraft
der Majestätsrechte des Königs und unbeschadet diesen Rechten. Nicht minder
erfolgte die Publikation der Bullen "Provida sollersque" und "Ad dominici
gregis custodiam“ in der oberrheinischen Kirchenprovinz mit dem Vorbehalte,
daß aus deren Genehmigung nichts abgeleitet werden dürfe, was den staat-
lichen Hoheitsrechten schaden oder ihnen Eintrag thun möchte, oder den Lan-
desgesetzen und Regierungs-Veränderungen entgegen wäre. Jener Grundsatz
hätte kaum ausgesprochen zu werden brauchen, er bildet die selbstverständliche
Voraussetzung für alle Leistungen des Staates an die katholische Kirche, und
er muß für diese Leistungen gelten, auf welchem Rechtsgrunde immer dieselben
beruhen, zu welchem Zeitpunkte die Verpflichtungen des Staates zu denselben
entstanden sein mögen. Der Staat ist genöthigt, ihn jetzt zur Anwendung
zu bringen. Das Verhalten des römisch-katholischen Episcopats gegenüber
den verfassungsmäßig beschlossenen, von Sr. Majestäl dem Kaiser und Könige
vollzogenen und gehörig publizirten Geseten vom 11., 12. und 13 Mai 1873,
vom 20. und 21. Mai 1874 ist notorisch ein solches gewesen, daß jene Majestäts-
rechte, unter deren Vorbehalt allein die katholische Kirche in Preußen alle
die Erweisungen der „höchsten Großmuth und Güte“, wie Papst Pius VII.
in der Bulle „de salute animurmn“ sich ausdrückte, empfangen hat und zu
genießen berechtigt ist, auf das schwerste geschädigt und verletzt erschienen.
Der Staat ist deßhalb eben so berechtigt als verpflichtet, bis dahin, daß der
römisch-katholische Clerus zum Gehorsam gegen die Gesetze zurückkehrt, ihm
zunächst alle Mittel zu entziehen, welche er selbst bisher zur Unterhaltung
dieses Clerus beigetragen hat. Unterließe der Staat dies noch länger, es
müßte ihn der schwere Vorwurf treffen, daß er selbst seine Gegner in ihrem
Widerstande stärke. Solchem Vorwurfe darf er sich am wenigsten in einem
Augenblicke aussetzen, in welchem in deutschen und römischen Blättern in
lateinischem Texte wie in deutscher Uebersetzung eine bezüglich ihrer Echtheit
nirgends angezweifelte Encyklica des Papstes vom 5. Februar d. J. veröffent-
licht worden ist. welche jene Gesetze vor der katholischen Welt, und für Alle,
die es angeht, für ungültig (irritas) erklärt und den Ungehorsam gegen die-
selben sanctionirt hat — und die Erzbischöfe und Bischöfe in Preußen diese
an sie gerichtete Encyklica - so weit bekannt — ohne einen Wiederspruch
hingenommen haben. Die Aufgabe des vorliegenden Gesetzes ist es, diejeni-
gen Gränzen zu bestimmen, innerhalb deren der Staat den oben entwickelten
Grundsatz zur Anwendung zu bringen hat.“ Ueber die Tragweite des
§ 1 des Entwurfs sprechen sich die Motive folgendermaßen aus: In dem
§ 1 sind diejenigen Diöcesen, Delegaturbezirke und Diöcesanantheile in der
Monarchie aufgeführt, für welche die Bestimmungen des Gesetzes zur An-
wendung zu bringen sind. Ausgeschlossen bleiben danach nur der Diöcesan-
verband des katholischen Bischofs Neinkens in Bonn, so wie die der utrechter
Kirchengemeinschaft angehörige kakholische Gemeinde Nordstrand in der Pro-
vinz Schleswig-Holstein. Der erstere hat die Gesetze des Staates gewissenhaft
beobachtet, und eben so ist von Seiten des erzbischöflichen Stuhles von Ut-
recht keinerlei Kundgebung oder Handlung erfolgt, durch welche die Rechts-
verbindlichkeit der diesseitigen Staatsgesetze von ihm in Frage gestellt wäre.
Die Voraussetzungen, welche in Betreff der übrigen Diöcesen zu einem Ein-
schreiten nöthigen, liegen also hier nicht vor. Dagegen sind die Erzdiöcesen