Full text: Europäischer Geschichtskalender. Sechzehnter Jahrgang. 1875. (16)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 18.) 83 
gut die Lage eines gläubigen Bekenners einer Kirche zu schätzen. Man sagt 
ihm wohlweislich nicht, daß von Glaubenslehre hier nicht die Rede sei, son- 
dern nur von denjenigen Regierungsrechten des hohen Clerus, die die äußeren 
Dinge, die ganze Herrschaft über das geistige und persönliche und sittliche 
Leben des Volkes beanspruchen; dieser Gegensatz, um den es sich hier handelt, 
wird dem armen Volke stets vorenthalten, es wird ihm immer nur gesagt, 
sein heiliges Recht und sein Glaube wird mißhandelt in diocletianischer Weise: 
man sagt ihm nur, die Gesetze des Staates, die in der ganzen Welt erzwun- 
gen werden, weil es kein anderes Mittel des staatlichen Zwanges gibt, das 
sind die großen Plünderungsgesetze, da zeigt sich bereits die Tendenz des Kir- 
chenraubes u. s. w. Und wenn nun ein Mann wegen Uebertretung des Ge- 
setzes seine Strafe absitzt, so ist dieß ein Martyrium im Sinne des ersten 
Jahrhunderts. Die Lage eines gläubigen Katholiken können wir sehr wohl 
begreifen, und wir haben mit unseren eigenen Theologen sehr hübsche Proben, 
daß auch sie was leisten können. Die Herren sind hier allein erschienen mit 
ihren Theorien, ohne ihr Gefolge hinter sich. Wollten die geehrten Herren 
dieses einmal mitbringen. ihre Bauern, ihre Gesellenvereine, wollten sie eine 
einzige Generation erziehen in den heiligen Lehren, die sie jetzt proklamiren, 
dort in Haß gegen das Lutherthum, hier in  Haß gegen das Papstthum, ja, 
m. H., wenn Sie diese Erziehung vollendet haben, dann bitte ich, schleunigst 
sich zu entfernen und in Sicherheit zu bringen, um nicht dabei zu sein, wenn 
dieses so erzogene Volk sich gegenseitig die Köpfe einschlägt; Anderes haben 
wir nicht zu erwarten! Meine politische Einsicht sagt mir, daß heute nicht 
sowohl die Zeit zum Reden über die Gesetze ist, sondern zu handeln für die 
Gesetze, und ich glaube, die hier getroffene Maßregel ist die mildeste, die über- 
haupt denkbar ist." 
18. März. (Preußen.) Der Bischof von Münster wird wegen 
einer gerichtlich über ihn verhängten, nicht bedeutenden Strafsumme, 
die er nicht bezahlen will, von seiner Reise zurückgekehrt, in's Ge- 
fängniß nach Warendorf abgeführt. Die ihm vom westfälischen Adel 
angebotene Bezahlung der Strafsumme hatte er abgelehnt. 
18. März. (Bayern.) I. Kammer: bewilligt die von der 
II. Kammer abgelehnten 900,000 fl. für Ankauf von Pferden. 
18. März. (Württemberg.) II. Kammer: wählt Hölder zu 
ihrem Präsidenten. Die demokratische Minderheit gibt 16 unbeschrie- 
bene Zettel ab. 
18. März. (Mecklenburg.) Schluß des Landtags. 
Der Passus des schwerin'schen Abschiedes über die Verfassungsange- 
legenheit lautet: Der Großherzog war zu der Erwartung berechtigt, daß die 
Stände in einer mit ihm übereinstimmenden Würdigung der ernsten Lage 
des Landes den Weg zu einer Verständigung über die Modifikation der Ver- 
fassung finden würden, und kann nur sein schmerzliches Bedauern darüber 
ausdrücken, daß die Verhandlungen über diese wichtige Angelegenheit auch 
auf dem gegenwärtigen Landtage erfolglos verlaufen sind. In dem strelitz'- 
schen Landtagsabschied behält sich der Großherzog ebenfalls weitere Entschließ- 
ungen vor. Derselbe entsagt jedoch nicht der Hoffnung. daß durch weitere 
gemeinsame Berathungen der Weg zu den für das Heil des Landes erforder- 
lichen Reformen gefunden werden wird. 
  
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