202 Das deutsche Reich uad seine einzelnen Glieder. (Nov. 27—30.)
Hand vorgehen und ein selbständiges antiliberales“ Programm feststellen
wollen.
27. November. (Deutsches Reich.) Bundesrath: der Reichs-
kanzler legt demselben einen von Preußen vorgeschlagenen Antrag
betr. die Erhebung von Ausgleichsabgaben vor. Durch dieselben
soll die Reichsregierung ermächtigt werden, Waaren (namentlich Eisen-
waaren, welche am 1. Januar 1877 zollfrei werden, generell, also-
auch England und Belgien gegenüber) mit einem Zoll (Schutzzoll)
von der Höhe der französischen Ausfuhrprämie zu belegen.
Der Gesetzentwurf lantet: § 1. Gegenstände, deren Ausfuhr in
einem andern Lande thatsächlich durch Ausfuhrprämien begünstigt ist, können
durch kaiserliche Verordnung mit Zustimmung des Bundesraths bei der Ein-
fuhr in das deutsche Zollgebiet mit einer Ausgleichungsabgabe belegt werden.
§ 2. Die Ausgleichungsabgabe darf den Betrag der Ausfuhrprämie nicht
übersteigen. § 3. Die Erhebung der Ausgleichungsabgabe kann entweder für
die Erzeugnisse bines bestimmten Landes oder ohne Rücksicht auf den Ursprung
der eingehenden Waaren für alle oder bestimmte Grenzstrecken angeordnet
werden. § 4. Die Anordnung der Erhebung einer Ausgleichungsabgabe soll
der Regel nach wenigstens vier Wochen vor dem Zeitpunkte, mit welchem sie
in Kraft tritt, zur öffentlichen Kenntniß gebracht werden. § 5. Die gesetz-
lichen Bestimmungen über die Eingangszölle finden auch auf die Ausglei-
chungsabgaben Anwendung. § 6. Eine auf Grund des § 1 erlassene kaiser-
liche Verordnung ist außer Kraft zu sehen, wenn und insoweit die Veran-
lassung zur Einführung. der Ausgleichungsabgabe fortgefallen ist. § 7. Das
gegenwärtige Gesetz trilt mit dem Zeitpunkt seiner Verbündung durch das
Reichsgesetzblatt in Wirksamkeit.“ Die sehr kurzen Motive betonen die
Aufgabe der deutschen Handelspolitik, die heimische Industrie vor Benach-
theiligung durch die Zoll= und Steuereinrichtung anderer Staaten zu be-
wahren, wie dies durch die in verschiedenen Staaten bestehenden Ausfuhr-=
prämien geschieht, denen man eine Gegenwirkung gegenüberstellen müsse.
29. November. (Hessen.) I. Kammer: Debatte über die
Beschlüsse der II. Kammer, die sich für das Reichseisenbahnproject
erklärt hat. Es wird einstimmig nach dem Antrage des Ausschusses
beschlossen, dem Beschlusse der II. Kammer nicht beizutreten.
v. Dalwigk spricht mit Entschiedenheit gegen die Conzentration der
Bahnen in einer Hand, befürwortet dagegen das gemischte System: Privat=
und Staatsbahnen und erwartet von der Regierung, daß sie im Verein mit
Bayern, Baden, Württemberg und Sachsen gegen Erwerbung der Bahnen
durch das Reich eintrete. Graf Erbach-Fürstenau und Freiherr- von
Schenk erklären sich gleichfalls für den Ausschuhantrag, ve gleiche Graf
Solms-Laubach, welcher das Reichseisenbahnproject mit dem „babylonischen
Thurmbau“ vergleicht, obwohl er ein entschiedener Gegner der Privatbahnen
sei. Monfang erwartet von der Regierung, daß sie sich streng innerhalb
des Titels VII der Reichsverfassung halte und darüber nicht hinausgehe. Die
Abstimmung ergibt einstimmige Annahme des Ausschußantrags; auch die
Prinzen Ludwig. Alexander und Wilbelm stimmen für denselben. Die Re-
gierung hüllt sich in tiefes Schweigen
30. November. (Deutsches Reich.) Eine kaiserliche Verord-