Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 19 -20.) 45
19. Januar. (Preußen.) Abg.-Haus: Die Regierung legt
demselben einen Gesetzentwurf, betr. die Geschäftssprache der Behör-
den, Beamten und politischen Körperschaften des Staates vor, welcher
bestimmt, daß die deutsche Sprache die ausschließliche Geschäftssprache
in allen Aemtern, Behörden und Gerichten des Staates ist.
Der Gesetzentwurf scheint sich hauptsächlich gegen die Polen zu rich-
ten. Er bestimmt zwar, daß der Minister des Innern durch Verfügung für
die nächsten zehn Jahre auch den Vorstehern ländlicher Gemeinden gestatten
kann, ihre Berichte in einer fremden Sprache einzureichen; wie indeß die
Motive hervorheben, bezieht sich diese Verfügung hauptsächlich auf Nord-
schleswig. In Gerichtsverhandlungen, wo Personen theilnehmen, die der
deutschen Sprache nicht mächtig sind, muß ein Dolmetsch zugegogen werden.
Das Protokoll wird jedoch deutsch geführt. Dasselbe kann, falls es noth-
wendig erscheint, dem Betreffenden in fremder Sprache vorgelesen werden.
Doch findet die Führung eines Nebenprotokolls nicht statt. Obwohl das
große Uebergewicht der Deutschen dem preußischen Staate den nationalen
Charakter aufprägt, so fehlte es doch in der bisherigen Gesetzgebung an einer
allgemeinen und ausdrücklichen Festsetzung des Grundsatzes, daß die deutsche
Sprache als die öffentliche Geschäftssprache anzusehen ist. Diesem Mangel
sucht der vorliegende Gesetzentwurf abzuhelfen. Die nicht deutsche Bevölke-
rung Preußens, auf welche sich der Gesetzentwurf bezieht, beträgt nur 12
Proc. Sie besteht aus 146,300 Lithauern, 2.432,000 Polen, 50,000 Tsche-
chen, 83.000 Wenden, 10,400 Wallonen. 145,000 Dänen und 30,000 an-
deren nicht deutschredenden Bewohnern: in Summa 2,397,000 Seelen.
20. Januar. (Deutsches Reich.) Reichstag: verlängert das
Mandat der Justizcommission bis zur nächsten Session des Reichs-
tags auf Grund des früheren Gesetzes vom 23. Dezbr. 1874 und
beginnt hierauf die Berathung der einer Commission übertragenen
Paragraphen der Novelle zum Strafgesetzbuch.
20. Januar. (Preußen.) Der König verfügt nunmehr doch
die Veröffentlichung folgenden allerh. Erlasses, betr. die Einführung
einer General-Synodalordnung für die evangelische Landeskirche der
8 älteren Provinzen der Monarchie.
„Nachdem in Gemäßheit Meines Erlasses vom 10. Seplember 1873
eine außerordentliche Generalsynode den von dem evangelischen Ober-Kirchen-
rath in Vereinigung mit dem Minister der geistlichen Angelegenheiten festge-
stellten und von Mir Enehmigten Entwurf einer General= Synodalordnung
berathen hat, ertheile Ich kraft der Mir als Träger des landesherrlichen
Kirchenregiments zustehenden Befugnisse der als Anlage beifolgenden Ge-
neral-Synodalordnung für die evangelische Landeskirche der acht älteren Pro-
vinzen der Monarchie hiedurch Meine Sanction und verkünde dieselbe
als kirchliche Ordnung. Das wichtige Werk einer selbständigen Ver-
fassung für die evangelische Landeskirche ist hiermit in all seinen Entwick-
lungsstufen begründet; überall sind den Gemeindegliedern wesentliche Befug-
nisse der Theilnahme an der kirchlichen Gesetzgebung und Verwaltung über-
tragen. Ich vertraue auf die Barmherzigkeit Gottes, an dessen Segen Alles
gelegen ist, daß auch diese neue Ordnung dienen wird zur Hebung des kirch-
lichen Lebens, zur Herstellung des kirchlichen Friedens und zur Anregung