Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 20—23.) 81
20. Februar. (Preußen.) Erlaß einer Bekanntmachung, nach
welcher dem (staatlich abgesetzten) Erzbischof Cardinal Grafen Lede-
chowski auf Grund des Reichsgesetzes vom 2. Mai 1876 der Aufent-
halt in der Provinz Posen definitiv untersagt wird.
20. Febrnar. (Württemberg.) In Heilbronn erregt die
dortige evang. Geistlichkeit durch eine Demonstration gegen die Civil-
ehe große Mißstimmung. Oberbürgermeister Wüst, ein um die Stadt
wohlverdienter Mann, tritt jedoch diesem Gebahren energisch entgegen
und wahrt die Rechte seiner Ortsangehörigen gegen alle geistlichen
Uebergriffe.
21. Februar. (Bayern.) II. Kammer: da die Berathung
des Budgets in Folge des Gegensatzes zwischen den beiden Parteien
und des Gleichgewichts derselben in der Kammer zweifelsohne nicht
rechtzeitig erledigt werden wird, bringt die Regierung einen Gesetz-
Entwurf betr. provisorische Steuerbewilligung, ein.
23. Februar. (Preußen.) Abg.-Haus: der Unterrichtsmini-
ster antwortet auf eine Interpellation betr. die Vorlegung eines
allg. Unterrichtsgesetzes, dahin:
sei in der Hauptsache einverstanden, daß das Zustandekommen
des Unterrichtsgesetzes ein dringendes Bedürfniß sei, schon damit ein gewisses
Maß gesetzlicher Normen für die Verwaltung festen Boden unter den Füßen
schaffe. Es sei deßhalb vom ersten Augenblick seines Amtsantritts sein Be-
streben gewesen, den Boden zu bereiten, welcher für die gesezliche Fixirung
des Gegenstandes erforderlich ist. Die Aufgabe war um so schwieriger, als in
der gegenwärtigen Zeit der geschärften Gegensätze naturgemäß die Gefahr
und die Neigung vorhanden ist, die wichtigsten Fragen der Gesetzgebung eben
nicht mehr sachlich, songern bloß nach den (vorher gekennzeichneten) Gegen-
sätzen zu entscheiden. Es kam das fernere Hinderniß hinzu, daß erst in der
letzten Session, und auch erst für fünf Provinzen des Staats, diejenigen
Selbstverwaltungsorgane geschaffen worden sind, welche an der Ausführung
des Unterrichtsgesetzes theilzunehmen berufen sein werden. Dennoch ist un-
verzüglich darauf, auf Grund einer Reihe von Denkschriften über die hauptsäch-
lichsten Gesichtspunkte der Materie, der Entwurf eines Unterrichtsgesetzes im
Cultusministerium ausgearbeitet worden. Derselbe hat der Kritik der sämmt-
lichen Mitglieder der Unterrichtsabtheilung des Ministeriums unterlegen und
ist demnächst Gegenstand einer eingehenden Berathung im Schoße desselben
gewesen. Dabei hat sich gezeigt, daß die Frage: wer Träger der Last der
Erhaltung der Volksschulen sein solle, noch nicht genügend vorbereitet sei.
Eine andere Schwierigkeit war, den Mittelweg zu finden, das Unterrichts-
gesetz auch auf die sechs Provinzen auszudehnen, welche noch keine Selbst-
verwaltungsorgane besitzen. Zur Klärung aller dieser Fragen ist bereits am 22.
April 1875 eine Verfügung an die Oberpräsidenten der fünf Provinzen, un
welchen die Provinzialordnung eingeführt ist, erlassen worden, welche a
einige Tage später den übrigen Oberpräsidenten mitgetheilt worden ist. Die
darin erfoderte Auskunft ist bisher von den Oberpräsidenten der Provinzen
Preußen, Schlesien, Brandenburg und der Rheinprovinz noch nicht einge-
Schulthess, Europ. Geschichtskalender. XVII. Band. 6