Ves besische Reich und seine einzelnen Glieder. (April 13.) 97
eine nähere Erläuterung der Fragen im Einzelnen einzugehen, so kann ich
doch nicht umhin, auf das wichtigste Verhältniß hinzuweisen, welches im
e der leßten Monate auch sehr deutlich hervorgetreten ist. Das ist das
Verhältniß der deutschen sinane zu den Finanzen der deutschen Länder
(Sehr richtig!), das weder für das Reich, noch die einzelnen Staaten und die
Steuerzahler auf die Dauer zu ertragen ist. Das Verhältniß ist in diesem
Augenblick derartig, daß ein sormmelles oder materielles Deficit in den Reichs-
finanzen nicht vorkommen kann, weil jeder fehlende Posten, mag er 10 oder
100 Millionen betragen, durch die Finanzkräfte der einzelnen Staaten ergänzt
werden muß. Es fehlt hier also jeder Regulator in der Person eines ver-
antwortlichen Reichsfinanzbeamten, welcher diese unmittelbare Wirkung der
Finanzwirthschaft des Reichs auf die einzelnen Staaten in seiner Person
verantwortlich mitzutragen hätte. (Sehr richtig!) Das Gefühl der Noth-
wendigkeit einer Steuerreform kann bei einem derartigen Mangel nicht groß
sein, und dieses Verhältniß ist bei den jetzigen Erörterungen über direkte
oder indirekte Steuern 2c. um so brennender, und man wird hier schon im
nächsten Winter an Abhülfe denken müssen, eine Regelung, die nach meiner
Meinung auf keiner andern Grundlage möhlich ist, als daß eine enge
Verbindung einer verantwortlichen Reichsfinanzverwaltung mit
der Finanzverwaltung des größten deutschen Staates hergestellt
wird. (Sehr richtig!) Es könnte vielleicht das Bedenken entstehen, daß da-
durch die Finanzen der anderen deutschen Staaten geschädigt werden; aber
ich möchte doch einen solchen Mann sehen, der dem Kaiser, dem Kanzler, den
verbündeten Regierungen und der Mehrheit des Reichstags gegenüber es unter-
nehmen wollte, seine preußische Stellung auszunußten. Wir werden jedoch
durch eine derartige Einrichtung eine Erleichterung für die Geschäfte des
Reichs und den Reichskanzler herbeiführen. Wir wollen hoffen, daß der
Reichslanzler, wenn er sich durch den gewährten Urlaub gekräftigt sieht,
wenn er inzwischen auch die großen politischen Angelegenheiten von seinem
Urlaube aus leitet, nach seiner Rückkehr mit uns weiter zusammenarbeiten
wird an der Entwicklung des deutschen Reichs und seiner Zustände auf der
einmal gewonnenen verfassungsmäßigen Grundlage, und daß er die im Ein-
zelnen praktisch hervorgetretenen Mängel und Lücken mit uns, in Ueberein-
stimmung mit den übrigen verbündeten Regierungen, zu heilen sich vornehmen
i Abg. Windthorst (ultram.): Die Discussion hat einen Umfang ge-
nommen, zu dem der Gegenstand an und für sich gar keinen Anlaß geboten
hätte. Ich habe gemeint, es könne sich heute nur darum handeln, ob die
Art und Weise, wie der Reichskanzler seinen Urlaub erhalten und wie er
während desselben vertreten werden soll, der Verfassunß entspricht. Man hat
aber die Gelegenheit benuyt, um den Reichskanzler als vollkommen unent-
behrlich hinzustellen, und die Behauptung ausgesprochen, als ob es mit sei-
nem Ausscheiden im deutschen Reiche bedenklich aussehen könnte. Es ist nicht
meine Absicht, gegen einen abwesenden kranken Mann eine Polemik zu er-
öôffnen, aber Das muß ich sagen: wenn das deutsche Reich auf so schwachen
Füßen steht, daß es von der Existenz eines einzelnen Mannes abhängt, dann
ist es mit demfelben sehr schlecht bestellt. (Sehr richtig! im Centrum.) Ich
vertraue, daß die Kraft der deutschen Fürsten, welche den Bund geschlossen
haben, unter unserer Mitwirkung genügen wird, das deutsche Reich gegen
alle inneren und äußeren Gefahren zu schützen. Und wenn ich gewiß be-
dauere, daß der Reichskanzler aus Gesundheitsrücksichten sich von den Ge-
schästen zurückziehen muß, so bin ich doch überzeugt, daß er felbst sagen wird:
as Reich kann auch ohne mich bestehen. Im Auslande muß es einen eigen-
thümlichen Eindruck machen, wenn man die Sache so darstellt, alz ob ganz
Teutschland nur auf dem einen Manne beruhe. Davon, ob es wünschens-
Schulthess. Gurop. Geschichtslalender. III. Sd.