98 DHa bestiche Neich und seine einjelntn Glieder. (April 18.)
werth ist, daß der Reichskanzler seinen Abschied nimmt oder nicht, kann gar
keine Rede sein, denn es handelt sich nicht um seinen Rücktritt, sondern nur
um seinen Urlaub. Wos die Interessen betrifft, die zunächst mir vor Augen
schweben und die zu nennen ich kein Bedenken habe, nämlich die Verhältnifse
des „Culturkampfes“, so würden diese nach meiner Ansicht durch den Rück-
tritt des Reichskanzlers an sich gar nicht geändert sein; ich bin vielmehr der
Meinung, daß dieser Mann durch fein ganzes öffentliches Verhalten gezeigt
3 daß er mehr als Andere geeignet ist, dann, wenn er einen Frieden nöthig
at, ihn in großen Zügen zu shoasfen, und ich habe kein Bedenken, zu sagen,
daß, wenn ich jemals eine Verhandlung über Beendigung des „Cultur-
kampfes“ zu führen hätte, ich sie lieber mit dem Fürsten Bismarch führte,
als mit der preußischen Bureaukratie. (Heiterkeit.) Dies auszusprechen nehme
ich umsomehr Veranlassung, als der Versuch gemacht worden ist, zu behaupten,
daß in dem ultramontanen Lager — zu dem ich gehöre — (Heiterkeit) eine
Freude gewesen sei über den Rücktritt des Reichskanzlers. Ich frage
i solchen Gelegenheiten nicht, wer geht, denn Den kenne ich; sondern, wer
kommt, denn Den kenne ich noch nicht. . . . Es ist von Wichligkeit, zu con-
statiren, wie die hier fragliche Anordnung an die äußersten Spitzen des Ver-
fassungsrechts anstößt und, wie ich fürchte, diese Spitzen bereits verlett. Ich
hätte erwartet, daß die worbtefrartin, welche nach der Versicherung des
rn v. Bennigjen auf der Grundlage der Verfassung das Reich, die In-
ekutionen desselben weiter ausbauen will, zur Wahrung der Verfassung
Resolutionen oder Reservationen oder Erklärungen eingebracht hätte. Ich
meine, daß Das zulässig gewesen wäre, ohne irgend eine Rücksicht, auch die
äuherste Rücksicht der Courtoisie zu verleben. Jedenfalls, glaube ich, sollte
darüber kein Zweifel sein, daß ein so ungewisser Zustand, wie der gegen-
wärtige, eine lange Dauer unmöglich haben kann; denn die Geschicke und die
Geschäfte eines großen Reiches, wie das deutsch he, können unmoglich einen
längeren Stillstand haben, und wir werden sehen, daß aus der getroffenen
Einrichtung überall ein Stillstand eintreten wird und eintreten muß. Ich
bin gespannt, zu sehen, wie im Laufe der Discussionen des Reichstages und
im Fortgange der weiteren Entwickelung in den auswärtigen und inneren
Angelegenheiten es möglich ist, mit einer Beihülfe, wie diese, auch nur ei-
nige Monate auszukommen. Mir war es übrigens ganz besonders interessant,
aus dem Munde des Führers der national-liberalen Partei, des Mannes,
der mehr als irgend ein Anderer das Vertrauen des Reichskanzlers genießt,
einen Wink darüber zu bekommen, was wohl zunächst bevorstehen wird.
Dieser Wink war sehr deutlich, er hieß: die Meichefinanzen sollen vom
Hwfischen Finanzminister wahrgenommen werden, und es hat auch gar kein
edenken, daß Das geschieht; denn die preußischen Interessen werden die
Reichzinteressen und die Interessen der einzelnen Staaten nicht beeinträchtigen.
Das ist eine schr= sreundliche Versicherung, ich höre wohl die Botscheft, aber
mir fehlt der Glaube. (Heiterkeit.) Ich bin der Meinung, daß Das eine
Entwickelung der Reichsinstitutionen wäre, die nichts Anderes bedeutet, als
den Anfang zu einer noch kästigeren Entwickelung des Aufgehens Kuchh
lands in Preußen. Mir war diese Aeußerung gar nicht unerwartet.
ich in der letzten Zeit zu meinem Bedauern verhindert war, den tust. en
Verhandlungen beizuwohnen, habe ich mit großer Aufmerksamkeit die Reden
gelesen, welche der Herr Abg. v. Treitschle, der Herr Abg. Bamberger und
der Herr Abg. Gneist bei Gelegenheit der Vorlage über den Siß des Reichs-
gerichtes gehalten haben. Die Reden sprechen klar und bestimmt aus, daß
man zum Einheitsstaate und Avar zum preußischen Einheitsstaate klommen
wolle. Und die „Hamburger Nachrichten“, welche über Reichsangelegenheiten
hanz besonders gut orientirt sind, haben sogleich nachher den Gedanken ent-