Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

194 Das derisqhhe Reich und seine einzelnen GElieder. (Dez. 14—15.) 
dustriellen aus ganz Deutschland eingefunden und diese legen, um nur das 
Hauptziel, Schutzzolle überhaupt, zu erreichen, eine überraschende #inigkeit 
an den Tag. Schon Tags zuvor, am 13. Dezember, hatten sich die Delegirten 
der einzelnen Industriebranchen zusammengefunden, um je die speziellen Tarif- 
positionen einer Vorberathung zu unterziehen. Der Verlauf und die Resultate 
dieser zum Theil 11—12stündigen Vorberathungen legten Zeugniß davon ab, 
daß und wie sehr die verschiedenen, dem Centralverbande angehörigen indu- 
striellen Vereine und innerhalb dieser die einzelnen Elemente durchdrungen 
sind von dem Hauptprinzip des Centralverbandes, dem Prinzip der Solida- 
rität aller industriellen Interessen. Ohne widerstreitende Debatten, in weiser 
Verständigung vermochten z. B. Spinner und Weber, wie die verschiedenen 
Zweige der Eisenindustrie 2c. sich über die vorzuschlagenden Tarifpositionen 
zu einigen, so daß der Hauptsiyung am 14. bedeutend erleichternd vorgearbeitet 
war. Die Einigung so vieler, nen mannigfach in ihren Interessen wider- 
streitender Industriezweige auf einen Tarifentwurf, wie sie sich auf dieser Ver- 
sammlung vollzogen hat, steht jedenfalls einzig da, und mag diese Thatsache 
Bürgschaft dafür geben, daß k- Kampf, welcher in Oesterreich unter den 
verschiedenen Industricen selbst über den neuen Tarif entbraunt ist, sich ge- 
gebenen Falles in Deutschland nicht abspielen wird. 
14. Dezember. (Preußen.) Abg.-Haus: beendigt die zweite 
Lesung des Elats für 187879. — Die Regierung legt demfelben einen 
Gesetzentwurf, betr. die evangelische Kirchenverfassung in der Provinz 
Schleswig-Holstein und im Amtsbezirke des Consistoriums Wiesbaden, 
vor. Derselbe ist mit den Gesetzen betr. die evangelische Kirchenver- 
fassung in den älteren Provinzen der Monarchie durchaus conform, 
namentlich bezüglich der Laienbetheiligung an der Kirchenverwaltung: 
die von der kirchlich reactionären Partei angefochtene Bestimmung 
über die Zahl der Gemeindevertreter findet sich in diesem Entwurf 
wieder ganz ebenso wie in den früheren Gesetzen. 
15. Dezember. (Bayern.) Mehrere eben versammelte Land- 
räthe sprechen sich sehr entschieden gegen die von den Ultramontanen 
gelegentlich der Frage eines Verwaltungsgerichtshofes geforderte Zu- 
sammenlegung mehrerer Kreisregierungen, Verminderung der Bezirks- 
ämter und Reduction der Beamtenzahl überhaupt aus. Die Oppo- 
sition der Utramontanen gegen den Verwaltungsgerichtshof steht also 
somit in den Bevölkerungen selbst auf sehr schwachen Füßen. 
Der Führer der Extrem-Ultramontanen in der II. Kammer, Dr. Rittler, 
scheint denn auch nachgerade an der Zukunft der uItramontanen Partei in 
der Kammer zu verzweifeln, indem er in seiner „katholischen Fahne“ klagt, 
daß die Führung der patriotischen Kammerfraction sich mit jedem Tage mi- 
" t. auswachse“. Die Minister könnten nicht bloß bezüglich der Er- 
ledigung des Budgets, sondern in allen Fragen, welche mit dieser Kammer 
zu lösen seien, heute schon vollkommen beruhigt sein. Die Opposition, zu 
welcher die Mehrheit gewählt worden, sei von der Führung thatsächlich auf- 
gegeben; denn die kleinen Häkeleien, welche man mit einzelnen Postulaten 
und Geiehesartikeln auch in Zukunft noch verbinden werde, verdienten den 
Namen „Opposition“" nicht und schienen nur deßhalb in -Seene gesetzt zu
	        
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