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Hand geben wollte, sich jetzt oder später mit Frankreich gegen Deutsch-
land zu verbinden. Aus allen diesen Gründen lehnte er es ent-
schieden ab, seinerseits auf Rußland irgend einen Druck auszuüben,
und wenn er damit Rußland auf der einen Seite wenigstens bis zu
einem gewissen Punkte und innerhalb gewisser Grenzen freie Hand
gegen die Türkei ließ und auch von Seite Europas verschaffte, so
erreichte er damit auf der anderen den Zweck, daß er den Krieg,
wenn er schließlich durch die Diplomatie doch nicht abgewendet
werden könnte, wenigstens vorerst auf Rußland und die Türkei be-
schränkte und von Deutschland und Westeuropa abwendete, ein Ver-
dienst, das allerdings nicht hoch genug angeschlagen werden kann.
England Viel verwickelter und schwieriger war von Anfang an die
—’ Stellung Englands und Cesterreichs zu der orientalischen Frage
reich. und beide verwickelten sich dabei in Widersprüche, aus welchen sie
den Ausweg im Grunde bis heute nicht gesunden haben. Die Existenz
der Türkei oder ihr Zusammenbruch kann Deutschland im letzten
Grunde gleichgültig sein und der deutsche Reichskanzler war daher
in der Lage, ganz ruhig und unbefangen erwägen zu können, ob
dieselbe einem neuen Anprall Nußlands wohl noch zu widerstehen
im Stande sein werde, oder aber nicht. War aber dasselbe auch
der Fall für England und Oesterreich: Ganz und gar nicht. Beide
hatten, wenn auch in verschiedener Weise, nicht nur ein vitales In-
teresse, nicht bloß Rußland nicht eiwa erobernd in die europeische
Türkei vordringen oder auch nur die Machtsphäre Nußlands in jenem
Gebiete sich mittelbar wesentlich ausdehnen zu lassen, sondern es
schien auch ihren Interessen am besten zu entsprechen, wenn die
Pforte in ihrer Integrität und unbeschadet der in ihren europäischen
Provinzen etwa einzuführenden Reformen als solche erhalten und
aufrecht bliebe. Was immer in Folge eines Krieges mit Rußland
an die Stelle der Pforte treten mochte, widersprach entweder ihren
Interessen geradezu und in der schärfsten Weise, oder convenirte ihnen
England, doch entschieden weniger. England ist der große Gegner Rußlands
in Europa und in Asien und es ist für dasselbe ein geradezu vitales
Interesse, daß die Meerengen des Bosporus und der Dardanellen
den russischen Kriegsschiffen in der Hand der Pforte fest verschlossen,
wie das andere, daß der Suezcanal und damit seine Verbindung
mit Ostindien seinen eigenen Schiffen dauernd und zuverlässig offen
gehalten bleibe. Außerdem ist die Türkei in ihrer Zollgesetzgebung
für die englischen Industrieprodukte ein Abnehmer, wie es sich keinen