Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

Neberscht der polilischen Entwihelans des Jahres 1877. 465 
zu überschreiten. Gurko zog daher ohne Widerstand über den Schipka- 
Paß und erschien plötzlich in der südlichen Abdachung desselben, wo 
sich erst die türkischen Truppen sammelten, um ihm Widerstand zu 
leisten. Allein sobald das geschehen war, wurde Gurko von Sulei- 
man P., den die Türken aus Montenegro, in das er bereits sieg- 
reich eingedrungen war, abberufen hatten, zurückgeworfen und erlitt 
in den letzten Tagen des Juli eine Niederlage, die einer Katastrophe 
sehr ähnlich war. Und in denselben Tagen erlitten die Russen noch 
eine, und zwar noch empfindlichere Schlappe. Schon Anfangs Juli 
hatte der Commandant von Widdin, Osman P., der für seine Fe- 
stung zunächst keine Gefahr voraussah, mit einem Theile seiner 
Truppen dieselbe verlassen und war in der rechten Flanke der Russen 
bis zum 18. Juli bis Plewna vorgedrungen, das, einen ganz offenen 
Ort, die Türken sogleich nach ihrer Gewohnheit zu verschanzen an- 
fingen. Die Russen griffen sie daselbst unter Schilder-Schuldner 
an, wurden aber zurückgeworfen. Osman P. verstärkte nunmehr 
seine Verschanzungen in Plewna und zog weitere Streitkräfte an 
sich; die Russen thaten dasselbe und bis Ende des Monats hatten 
beide Theile auf jenem Punkte ca. 60,000 Mann angesammelt. Jetzt 
wagten die Russen einen zweiten stärkeren Sturm auf Plewna unter 
General Krüdener, aber wiederum ohne Erfolg, obgleich sie unleug- 
bar auf's tapferste kämpften. Beide Niederlagen zusammen, diejenige 
südlich des Schipka-Passes und die vor Plewna, brachten die Russen 
in eine sehr bedrängte Lage. In Konstantinopel erkannte man die 
Bedeutung des Augenblicks: der unfähige bisherige Obercommandant 
aller türkischen Streitkräfte, Abdul Kerim P., wurde abberufen und 
nördlich des Balkans durch Mehemed Ali P., südlich desselben durch 
Suleiman P. ersetzt und der letztere erhielt den Befehl, sich um jeden 
Preis des Schipka-Passes wieder zu bemächtigen, den Balkan ohne 
Verzug zu üÜberschreiten und nach rechts den Streitkräften unter 
Mehemed Ali P., nach links Osman P. die Hand zu bieten und 
mit ihnen vereint die Russen auf ihrer ganzen Linie energisch anzu- 
greifen, während der Sultan alle noch übrigen waffenfähigen Männer 
seines Reichs unter die Waffen rief. Die Russen aber waren mo- 
mentan in solcher Bedrängniß, daß das Hauptquartier von Tirnowa 
wieder an die Donau verlegt werden mußte und zwar in solcher 
Eile, daß sein Abzug von Tirnowa fast einer Flucht glich, und es 
war nicht zu verkennen, daß es den Türken möglicher Weise gelingen 
könnte, die Russen vorerst wieder über die Donan wurüchuwerfen. 
Schulthess, Gurop. Geschichtskalender. XVIII. Bb.
	        
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