Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

58 Das  deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Febr. 28.) 
in gefühlvollen Worten auch seinerseits den Wunsch nach einem Ausgleich in 
den confessionellen Streitfragen auszusprechen und zu diesem Zwecke eine theil- 
weise Revision der Maigesetze zu befürworten.  In seinen Ausführungen sagt 
er über die Klagen der Clericalen: „Der eine Theil Ihrer Beschwerden be- 
trifft Verletzungen, die auf Ungeschicklichkeiten unserer Regierungsorgane zurück- 
Zuführen sind, deßhalb unter jeder Regierung vorkommen werden; andere 
Rechtsverletzungen, namentlich solche, die sich auf eine Beschränkung des Rechts- 
weges beziehen und bei denen Sie stets unserer vollen Unterstützung gewiß 
sein können, wird auch die Regierung auf unser Ersuchen abzustellen bereit 
sein. Es kommen aber Debatten vor, bei denen ich völlig überzeugt war, daß 
nicht allein Ihr Rechtsgefühl, Ihre staatsbürgerliche Meinung, sondern Ihr 
innerstes religiöses Gefühl zum Ausdruck kommt, und da allerdings ent- 
brennen die Geister, da wird der Streit viel heftiger, und hier ist der Punkt, 
wo eine Lösung gesucht und gefunden werden muß. Der Vorredner erwähnte 
der Debatte das Beichtgeheimniß. Ich, ganz außerhalb dieser Sache 
stehend und gewiß mit Vorsicht bestrebt, nicht irgendwie in diese Materie 
einzugreifen, muß sagen, daß nach der Prüfung des gesetzlichen und Rechts- 
standpunktes zwar anzunehmen ist, es habe das Obertribunal in dieser Sache 
so entschieden, wie das Gesetz es anweist; ob es aber rathsam ist, daß wir 
in vollem Umfang Gesetze aufrecht erhalten, die zu solchen Erkenntnissen führen 
müssen, das ist eine weitere Frage. (Hört! im Centrum.) Ich nehme an, daß 
in den Maigesetzen in der That die Absicht obgewaltet hat, auch die Beichte 
als ein Zuchtmittel im Sinne des Gesetzes anzusehen, aber wenn Sie mich 
fragen, ob dieses Mittel der gewährten oder verweigerten Absolution wegen 
Befolgung oder Nichtbefolgung der Maigesetze zu einem Strafverfahren vor 
dem Richter führen soll so antworte ich unbedingt: ich verzichte lieber auf 
dieses Mittel, als daß in dieser Weise zu nahe getreten werde. (Zustimmung.) 
Laden Sie uns dazu ein, daß wir in Erwägung treten, ob solche Bestimm- 
ungen nicht fortzuschaffen seien, und wir werden gewiß, wenn wir die Ueber- 
zeugung gewinnen, daß das religiöse Gewissen beunruhigt werde, gern die 
Hand dazu bieten. Ich spreche dies nur in meinem eigenen Namen, Sie 
werden aber gewiß Viele unter uns finden, die bereit sein werden, im Wege 
der Revision solche Dinge aus den gegebenen Gesetzen zu entfernen, die wirk- 
lich dazu angethan sind, in das innere Gebiet der Religion und der Gewissen 
einzudringen. Womit wir uns aber niemals einverstanden erklären können, 
das ist die Theorie, es gäbe eine ganze Klasse von Gesetzen, welche für einen 
Theil der Staatsbürger nicht die höchste Norm für sein Verhalten  wären“ 
Dieses Entgegenkommen des national-liberalen, freilich gerade in diesen Fragen 
von dem Eros seiner Partei abweichenden Redners wird von den ultramontanen 
Abgg. v. Schorlemer und Schröder (Lippstadt) bestens acceptirt und gegen die 
Regierung verwerthet. Auf ihre Angriffe  kann der Cultusminister die Er- 
wiederung nicht schuldig bleiben. Falk betont, daß gegenüber dem Uebermaß 
von Arbeiten, Angriffen und Bitterkeiten in seiner nun fünfjährigen Thä- 
tigkeit ihn einzig sein Pflichtgefühl aufrecht und auf seinem Platze erhalten 
habe, und fährt dann fort: „Der Vorredner meinte, weil die Bestimmungen 
der Maigesetze, insbesondere des vom 11. Mai 1873, voraussetzten, daß der 
Geistliche ein Staatsbeamter sei, dürfe die Regierung jetzt nicht mehr Aufsicht 
auf ihn haben, nicht mehr eine gewisse Bildung von ihm verlangen, habe 
nicht mehr Einrichtungen entgegenzutreten, die geeignet sind, den geistlichen 
herauszuheben aus seiner eigenen Nation; ja die kirchlichen Oberen hätten 
nicht mehr nöthig. nur eine Anzeige zu machen von einer beabsichtigten  An- 
stellung. Nein, m. H.H., das war nicht der Gedanke, der uns Ab- 
fassung der Mäigesetze geleitet hat, sondern vielmehr der; weil der Geistliche 
im eminentesten Sinne des Wortes der Lehrer des Volkes ist, darum ist es 
 
	        
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