Full text: Europäischer Geschichtskalender. Achtzehnter Jahrgang. 1877. (18)

D besische Reich und seine rirzelnen Glieder. (März 13.) 73 
lehnte; ich glaube aber kaum, daß wir heute in denselben guten Verhältnissen 
mit unseren übrigen süddeutschen Landsleuten ständen, wenn wir damals in 
den einseitigen Anschluß von Baden gewilligt hätten. Daß der Bundesrath 
zu Gunsten von Reichsministern Rechte aufgeben müßte, ist ja ganz klar; die 
Rechte sind aber verfassungsmäßig verbürgt und können nur unter Zustim- 
mung der Negierungen modificirt werden. Ist aber diese Zustimmung wahr- 
scheinlich zu erreichen: Sie wissen, daß 14 Stimmen im Bundesrath ver- 
fassungsmäßig im Stande sind, eine ainonne zu hindern. Man 
kann das beklagen, aber cs ist verfassungsmäßiges Necht bei uns. Sind Sie 
nicht alle überzeugt, daß diese 14 Stimmen zum Widerspruch gegen eine Ein- 
richtung, durch welche der Einfluß der Einzelregierungen wesentlich geschwächt 
würde, sich unbedingt finden würden? Ich wenigstens bin davon über- 
zeugt und mag durch solch Experiment diesen Widerspruch nicht 
auf die Probe stellen und ebenso, wie beispielsweise in der Eisenbahn- 
frage, mich jeder Verdächtigung, jedem irrthümlichen Mißtrauen des Particu- 
larismus aussetzen, wenn ich verfassungsmäßige Dinge erstrebe, mir aber 
dabei Ziele znterschoben werden, die das versossunguntößige Maß der Selb- 
ständigkeit der Einzelstaaten einschränken. Sie haben erlebt, in welchem Maße 
das geschehen is Es gibt reichsfeindliche Parteien — in diesem Saale na- 
ürlich nicht, aber draußen sind sie thätig (Heiterkeit) —, von denen jede 
swricch nt durch sofortige Entstellung zum Beleben von Antipathien der 
centrifugalen Neigungen benutzt wird. Das wissen Sie aus Erfahrung, und 
man muß darin vorsichtig sein und denen, die Rechte aus der Verfassung 
haben, wenn man Politik treiben will, nicht jeden eß davon sprechen: wir 
ehen darauf aus, dir die Rechte zu nehmen, die du hast. Ich halte es über- 
Hant. für eefährlich, obgleich das mit unserem deutschen ationalcharakter 
übereinstimmt, der immer das Beste will und darüber das Gute oft verliert, 
daß wir aus den Verfassungsänderungen eigentlich gar nicht herauskommen, 
daß wir der Verfassung nicht Zeit l ssen, einma zu Athem zu 
kommen und sich zu beruhigen, wenn auch auf einer unvollkom- 
mir das ben Eindruck ine Gutsbesipers, der 
an seiner Wirthschaftsmethode e in jedem Jahre zu ändern und zu modeln hat; 
wird mit der alten Methode, an der er, wenn sie auch unvollkommen ist, 
esthält, wahrscheinlich weiter kommen, als wenn er in jedem Jahre die ge- 
ammte Fruchtfolge oder das gesammte Wirthschaftssystem neuen Proben oder 
fundamentalen Abänderungen unterzieht. Ich will keineswegs, daß wir die 
Fragen unserer verfassungsmäßigen Zutunft todtschweigen, als noli me hn- 
gere behandeln und etwa, wie das im klassischen Alterthum geschah, durch 
Strafbestimmungen verbieien. daran zu rühren. Ich möchte nur uc0, d 
daß man weniger siegesgewiß über Rechte hinweggeht, die durch die Verfas- 
sung verbürgt werden; ich wenigstens werde es als meine Pflicht an- 
sehen, die Reichsverfassung aufrecht zu erhalten, damit nicht ungesunde Re- 
actionen entstehen. Am wenigsten aber möchte ich Das aufkommen lassen, 
daß wir einen Theil der Verfassung für unmöglich halten, dem das Rütteln 
an einem Theil würde der Festigkeit der andern schaden. So halte ich es 
B. nicht für unmöglich, daß der Reichskanzler zugleich die preußische Stimme 
füor, wenn auch nicht für nühlich; der Reichskanzler braucht 45 nicht Mit- 
glied des Bundesrathes zu sein, er führt den Vorsitz in demselben. Wenn 
nun das Reichsministerium Sitz und Stimme haben u½a so kann es doch, 
wenn nicht eine völlige Verfassungsänderung noch mehr Stimmrecht an reußen 
ibt, überstimmt werden, ebensogut wie z. B. in der wia e bes Sites des 
undesgerichts Preußen überstimmt worden ist. Das Ministerium ist dann 
noch in einer viel schwicrigeren Lage, Ihnen gegenüber p vertreten, wofür 
ues nicht gestimmt hat. Wir kommen hier nur als Mitglieder des Bundesraihs 
  
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