102 Das deuische Reich and seine einfelnen Glieder. (März 21—27.)
gerüsteten und im Namen Sr Maj. des Kaisers die oberste Leitung der Ge-
smäfte mit verantwortlichen Ministern führenden Regierung; 2) die Einbe-
rufung eines elsaß-lothringischen Landtages mit den Rechlen aller anderen
deutschen Landesvertretungen; 3) die Vertretung Elsaß-Lothringens im Bundes-
rath. Ein Minus, für den Redner das Minimum, würde sein: der Forlbe-
stand des Landesausschusseo mit erweiterten Besugnissen und Vermehrung der
Zahl seiner Mitglieder, jerner eine consullative Bertrelung im Bundesrath;
von der Verlegung der Regierung nach Straßburg ist unter keinen Umständen
abzugehen. Die Reichslande sollen nicht eine Scheidewand zwischen Deutsch-
land und Frankreich sein, sondern eine Brücke, ausf welcher sich die beiden
Bölker und Gusturen die Hand zur Versöhnung und zum gemeinsamen Wirken
reichen. Abg. Kablé (Protestpartei): Die Beschwerden, welche der Vorredner
Ihnen so eben aueführlich vorgetragen hat, haben auch wir schon oft vorge-
bracht; ich kann mich deßhalb darauf beschränken, im Namen meiner politi-
schen Freunde die Erklärung abzugeben: gegen den Antrag nach seinem Wort-
laut können wir eine ablehnende Hallung nicht einnehmen; wenn aber das
Land in Wirklichkeit selbstständig sein soll, so liegt es auf der Hand — und
in diesem Sinne haben wir uns schon oft ausgesprochen — daß nur eine
aus allgemeinen directen Wahlen hervorgegangene, mit allen constitutionellen
Befugnissen ausgestatlete gesetzgebende Bersammlung eine gedeihliche Entwick-
lung des Landes befördert. Mit diesem Vorbehalt werden wir für den An-
trag des Abg. Schneegane stimmen. Fürst Bismarck: Es wird die Dis-
russion erleichtern und llären, wenn ich jetzt schon das Wort ergreife, nach-
dem wir ein Für und ein nicht volles Gegen aus dem Reichslande gehört
haben. Die Entwicklung des ersten Redners hat auf mich wohlthuend ein-
gewirkt, wenn er es nur hätte unterlassen können, am Schlusse seiner Rede
einen gewissen Appell nach Paris hin zu richlen, ber hier kein Echo finden
konn; wenn er es hätte unlerlassen lönnen, in diesem Theile seiner Rede seine
Heimath gewissermaßen als ein künftig nentrales Land darzustellen, auf dem
die französischen Sympathien gleichberechtigt mit den deutschen sein würden.
(Sehr richtig!) Diese getheilte Liebe können wir nicht annnehmen. Der An-
tragsteller hat an die Aenßerungen erinnert, mit denen ich im Jahr 1871 den
autonomen Wünschen, die sich jetzt kundgeben, enlgegenkommen bin in der
Hoffnung, daß sie sich früher schon in dieser Versammlung zum Ausdruck
bringen würden. Sie kommen spät, aber sie kommen, und sie sind willkommen.
Ich bin nicht berechligt, in meiner EigenschaftalsReichskangler hier zu sprechen,
ich spreche als Minister von Elsaß-Lolhringen, aber im principiellen Einver-
ständniß mit Sr. Maj. dem Kaiser; soweit es Eljaß-, Lothringen angeht, würde
ich mich ! nicht speciell äußern bönnen, wenn ich mich dessen nicht vergewissert
hätte. Dieses Einverständniß meines Landesherrn mit mir als Minister ge-
nügt aber nicht, um dem, was ich über die minimalen Bedingungen, die der
ersie Redner formulirt hat, sagen würde, volle anthentische Kraft zu gewähren.
Dazu ist erforderlich eine gemeinsame Ahätigkeit der gesehgebenden Factoren,
und zwar vor allem der verbündeken Regierungen im Bundesrath. Ich kann
nur das hier sagen, was ich bei Sr. Maj. dem Kaiser, wie ich glaube, mit
Erfolg und bei den verbündeten Regierungen mit Hoffnung befürworten will,
und ich glaube, daß der erste Redner darin ein weiteres Entgegenkommen
finden wird. Wenn ich nicht mehr ganz auf dem Punkte, ich könnte fagen,
meiner ersten Ingendliebe zu den Neichslanden stehe, nicht mehr ganz auf
dem für mein damaliges Alter schon kaum amwendbaren Ausdruck einer be-
geisterten Hoffnung, die ich daran knüpfte, in der glücklichen Empfindung
diese alten Reichslande wiedergewonnen zu sehen, so ist das doch wohl er-
klärlich nach den Zeiten, die wir inzwischen erlebt haben. Ich kann hier auf
alle Elemente, die zu meiner Entmuthigung mitgewirkt haben, nicht eingehen;