Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

122 Dos benische Reich und seine rinzelnen Glieder. (April 5.—6.) 
hervor, welcher sich im Verlauf der Jahre und insbesondere seit der 
wirthschaftlichen Frontveränderung der maßgebenden Potenzen in der 
Stellung der Centrumspartei entwickelt hat. Sie schreibt: 
e so seltsame, nnberechenbare, überraschende Verschiebung der 
Partei- 8 Manthtverhölwiiss wie wir sie in den letzten neun Jahren erlebt 
haben, findet ihre Analogon nur in dem alten Märchen vom Aschenbrödel. 
Wer vor zehn Jahren von einer Vertretung der 8 resp. 15 Millionen preußi- 
scher oder deutscher Katholiken sprach, Der mußte sich auf ein mitleidiges 
Kopfschütteln geiaßt machen. Und als zur Ueberraschung der gottlosen und 
der „frommen“ Gegner hüben und drü — fertig und gewaffnet, wie 
Pallas. aus Jupiter's Haupt, die Centrumsfraction aus der Wahlurne 
prang, da begann der erbitterte Kampf zur Bernichtung dieser Fraktion, 
owie des Geistes, dem sie entsprossen. Man sträubte sich dagegen, die 
Centrumspartei in die Matrikel der politischen Fractionen als ebenbürtig 
einmmtragen, man suchte sich und der Welt einzureden, daß es eine ephemere 
Vertretung kirchlicher Interessen sei, ohne ein polilisches Programm, ohne 
einen natürlichen Boden im Volke, ohne politische und soziale Lebensfähigkeit. 
Jept, nach achtjähriger Belämpfung, Verfolgung und Unterdrückung muß 
die ganze Schaar der Geguer sich vor der unabweisbaren Thatjache beugen, 
daß die Centrumspartei sich nicht nur das volle Bürgerrecht errungen, daß 
sie nichl nur auf polilischem sowohl als sozialem Gebiete sich als eine regel- 
rechte, lebens= und schaffensfähige Partei erwiesen hat, sondern daß sie sogar 
die ausschlaggebende Partei in den wichligsten und brennendsten Fragen 
der Gegenwart geworden ist. Die deutschen Katholiken, die man als Heloten 
betrachtete, und ihre Vertreter, welche man „Fraction Kullmann“ nannte — 
n4n bilden jetzt den Kern und Mittelpunkt der politischen Gestaltung 
der Gegenwart.“ 
5. April. (Deutsches Reich.) Bundesrath: Nachdem Preußen 
sich mit den Ausschußanträgen zum Tabaksteuergeseb gegen Erwarten 
einverstanden erklärt, werden dieselben nach vorheriger Ablehnung 
des Antrags Bayerns, die Steuer von inländischem Tabak auf 70 MA 
zu ermäßigen, fast ohne Widerspruch angenommen. Der Zollfatz 
für Tabakblätter beträgt also 120.4 per 100 Kgr., für Cigarren 
270, für andere Fabrikate 200 +4, die Steuer von inländischem 
fermentirtem Rohtabak 80 4 Von Parzellen unter 4 Ar beträgt 
die Flächensteuer 12 5. vom OQuadratmeter. Die Nachsteuer beträgt 
74.4 Die Ausschußanträge bezüglich der Lizenzstener werden ab- 
gelehnt und die ursprüngliche preußische Vorlage angenommen; 
danach zahlt Rohtabak jährlich 10 4∆ für 50 Kgr. und 5.“¾ für 
jede weileren 50 Kgr.; die Tabakfabrikate deßgleichen. Allgemein 
hält man den Tabakstener-Entwurf, namentlich in Verbindung mit 
der so normirten Lizenzsteuer, für den Vorboten des Monopols. 
6. April. (Deutsches Reich.) Das Magistratscollegium 
von Berlin, das 33 Milglieder zählt, beschließt mit allen gegen 1 
Stimme, eine Petition gegen die Besteuerung der nothwendigsten 
 
	        
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