Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

134 He beullchr Reich und feine eintelsen Glieder. (Mai 2—9.) 
vom fünften Verhandlungstage kann diese Auffassung nicht mehr festgehalten 
werden. Die Korn-, Vich- und Holzzölle des Tarifs scheinen jeht doch et- 
was ganz Anderes zu jein als ein Mittel der Stimmenwerbung unter den 
Agrariern, und selbst die Finangreform noch mehr einen Erfaß für die Grund- 
stenern zu bezwecken als eine Befestigung der Stellung des Reiches. Diese 
Rede des Kanzlers, wird den Widerspruch gegen die Getreidezölle bei den 
Freihändlern nur noch befestigen, während zugleich die Rede des ? Lo. Windt- 
horst vom selben Tage und der Beschluß über die Geschäftsbehandlung vom 
sechsten Tage die Niederlage der Freihändler wohl fest besiegelt und das ei- 
gentliche Schlachtfeld auf das Gebiet der Finangreform endgiltig verlegt. 
Erste Rede des Reichskanzlers (vom 2. Mai): Wenn die 
verbündeten Regierungen durch ihre Vorlagen und die Motive dazu die De- 
batte eröffnet, das erste Wort gesprochen haben und die Erwiederung 
darauf erwarten dürfen, so ist es mir nach der Stellung, welche ich 
iu diesen Vorlagen von Haus aus genommen habe, doch ein Bedürfniß, auch 
diese Stellung persönlich mit wenigen einleitenden Worten zu rechtfertigen, 
und meine Auffassung der Gesammtvorlagen, ihrer Motivirung und ihrer 
Nothwendiglkrit in lurzem vor Ihnen darzulegen. Das Bedürfniß einer Fi- 
nanzreform in Deutichland ist ja ein altes und nicht bloß seit der Zeit vor- 
handen, seit wir mit dem Worte Deutschland wieder einen staatlichen Be- 
griff verbinden, sondern es war, meines Erachtens, lange vor 1866, es war 
1848 vielleicht in allen Landestheilen, namentlich aber in dem größten Bun- 
desstaat, in Preußen, lebhaft empfunden. Unsere Finanzgeseygebung (ich 
spreche nicht von der wirthschaftlichen) hat seit den Jahren 1818 und 1824 
in Preußen wenigstens — ich kann, wenn ich von den einzelnen Reichslän- 
dern und ihrer Beziehung zu den Reichsfinanzen soreche. hier nur über meine 
eugere Heimath mit Sicherheit urtheilen — geruht. Die Gesehe welche seit 
1824, mit Ausnahme der untergeorducten, in Preußen erschienen sind, waren 
mehr von politischer als financieller Tragweite. Ich rechue dahin die Ein- 
lommensteuer, welche im Jahr 1851 eingeführt wu und, wie ich gern 
ugestehe, 8 tberechtigten Verlangen entsprach, die gröheren Vermöcen in 
höherem M s bei der Classensteuer heranzufiehen. Es kam dann 1861 
die Wt. —* die Gebäudesteuer, im übrigen ist aber # Wissens 
vom preußischen Finanzministerim eine Initiakive zu irgend einer Reform 
der seit 1824 giltigen Sitnalion nicht ausgegangen, auch keine mißlungene. 
Es erklärt sich das ja durch das Verhältniß, in welchem die Staaten zum 
Zollverein standen, und durch die Lage der Zollvereinsverhandlungen während 
des größten Theils dieser Epoche, wenigstens bis zum Anfange der 50er Jahre. 
Der Zollverein, der den Schlüssel zu den indirecken Steuern besaß, war eine 
lösbare Schöpfung, die sich auf dauernde Steuerverfassung nicht wohl ein- 
richten konnte, da ihre Existenz alle 12 Jahre in Frage gestellt wurde, und 
dieser mehr äußerliche Umstand u 7 Loaisch die 2 e h daß die Aus- 
bildung unseres indirecten Stenerwesens im Vergleich mit anderen europäische 
Ländern in dieser Zeit wejentlich zurückgeblieben ist. Ich bitte die wirth- 
schaftliche Seite der Sache und die financielle hiebei nicht zu wansenin 
Eine Möglichkeit, auch nie indinecten Steuern in der Weise zu pflegen, wie 
es in anderen Staaten geschieht, trat erst ein mit der Schöpfung des Nord= 
deutschen Bundes, des Zollparlaments, beziehungsweise des Deutschen Reiches. 
Wenn ich für meine Person nicht damals der Ausande einer financiellen Re- 
form näher getreten bin, so kann ich außer den durch politische Geschäfte und 
zum Theil auch durch mangelnde Gesundheit ohervorgerufenen Hindernissen 
auführen, daß ich es nicht als eine Aufgabe betrachtete, die in erster - 
dem Reichskanzler obläge, eine financielle Reform anzustreben. Die Praxis 
hat sich auch dieser be aeine angeschlossen. Sie erinnern sich, daß der erste 
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