Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Ha deulsche Reich und seine rinzelnen Glieder. (Juli 9.) 203 
Art in Zukunft zusammenstehen zu können in der Weise, daß die Regierung 
ihre Unterstützung annimmt und ihnen dafür den Einfluß gewährt, der mit 
dieser Unterstützung verbunden ist; ein anderes Verhällniß laun keine Fraion. 
von den existirenden erstreben, denn keine von ihnen hat an sich die Mehrheit, 
jede muß compromittiren mit den anderen. Wenn es eine Fraction bei uns 
gäbe, die an sich eine geborne Mehrheit hat, und die von mir nicht verlangt, 
daß der Tropfen demokratischen Oels, den ein bekanntes Wort für die Sal- 
bung des deutschen Kaisers verlangte, gerade ein Eimer werden soll 
(Heiterkeit), dann würde ich einer solchen Partei ganz andere Rechte in Bezug 
auf die Beeinflussung der Regierung einräumen, als einer Partei, die, wenn 
sie hoch kommt und dann geschlossen einig ist, was doch zu den Sellen- 
heiten gehört, kaum ein Viertel von der ganzen Versamulung erreicht. Den 
Herren kann ich nur, wenn sie überhaupt auf mein politisches Urtheil als 
achkundigen Werth legen — und ich habe viel Politik gelrieben — eine 
größere Bescheidenheit für die Zukunft anrathen. Da der Herr Vorredner 
(Beseler), auf dessen Mitwirkung ich seit langer Zeit habe rechnen können, 
und den ich persönlich ja auch schätze und verehre, auch seinerseits die Mei- 
nung ausgesprochen hat — was mich namentlich veranlaßt, in diesem Moment 
das Wort zu nehmen —, die Finanzhaheit des Reiches ginge hierbei ver- 
loren, so muß ch dazu doch bemerken, daß ich diese Behauptung für eine 
gänglich unbegründete und aus der Luft gegriffene halte. Die Finanzhoheit 
es Reiches ist in der Verfassung begründet in verschiedenen Paragraphen; 
keiner derselben erleidet durch die Annahme des Franckenstein'schen Antrages 
auch nur die mindeste Aenderung. Auf die Erhaltung der Matricularumlagen 
ist ja bisher von liberaler Seite ein sehr hoher Werth gelegt worden, und 
es ist gesagt worden: wir müssen dafür einen Ersatz haben; wenn auch die 
Verfassung uns ein Einnahmebewilligungsrecht nicht gibt, so haben wir es 
bisher vermöge der Verfassung factisch genossen, und wir wollen es ohne 
Ersah dafür nicht aufgeben. Auf die Matricularumlagen und ihre eventuelle 
Beibehalkung wird also von liberaler Seite ein außerordentlich hoher Werth 
elegt. Da ich mir die verschiedenen Mittel durchdacht hatle, in welchen man 
constitutionelle Garantien finden kann, so war ich auch auf dieses wie auf 
andere gekommen, und erwartete einen Antrag wie den Franckenstein'schen 
wohl von der nationalliberalen Seite. Um die Matricularumlagen beizu- 
behalten, was mir im Ganzen nicht erwünscht war, gab es ja kein einfacheres 
Mittel, als daß man sie in ihrem ganzen bisherigen Umfange bestehen ließ 
und dem Reiche in sein Ausgabebudget geseplich einen Posten schrieb, der 
ur Subvention der nothleidenden Einzelstaaten bestimmt war und diesen die 
Mittel gab, die Mehrumlagen zu leisten. Dann bleibt eben das Heft der 
Finanzverwaltung in den Händen des Reichstages, und es ist ein Beweis, 
aß mir Diejenigen Unrecht thun, die mich unconstitutioneller Gesinnungen 
beschuldigen oder verdächtigen, wenn ich diesem Franckenstein'schen Antrage, 
der dem Reichstag die Gewalt, die ihm das Votiren der Matricularumlagen 
gibt, im vollen Umfange läßt, zustimme. Ich bin ja seit lange gewohnt, 
daß man, wenn die Argumente aus der Gegenwart nicht reichen, mit der 
Verdächtigung meiner Absichlen für die Zukunft mich bekämpft. Ich erinnere 
Sie daran, daß lange Jahre stets gesagt worden ist, ich strebte nach Krieg 
zu irgend welchen Zwecken. Es hat Das erst ein Ende genommen, seitdem 
die Stellung Deutschlands zur orientalischen Frage, seitdem die Stellung 
Deutschlands auf dem Congreß zu Berlin, der gerade vor einem Jahre uns, 
wenigstens mich, auch zu einer beerih nöthigte, seitdem die den un- 
widerleglichen Beweis geliefert hat, daß alle Jstrualionen Lügen und 
Verleumdungen waren, die zum geringsten Theile in Deutschland lsen Ur- 
sprung hatten. Seitdem ist es Sitte geworden, seit ungefähr Jahr und Tag, 
  
  
 
	        
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