Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

232 Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 18.) 
land allmählich wieder zu germanisiren. Die edle ritterliche Persönlichkeit 
des Kaisers und die wirklich seltene Pflichttreue, mit welcher der 82jährige 
Greis sich siets den Pflichten seiner hohen Stiellung unterzog, übten ganz 
ersichtlich selbst auf die franzöüisch Gesinnten einen mächtigen Eindruck und 
verfehlten ihre Wirkung nicht.“ 
Unmittelbar vor seiner Abreise erläßt der Kaiser von Metz 
aus folgendes Handschreiben an den Oberpräsidenten v. Möller: 
„Die Eindrücke meiner dießmaligen Anwesenheit in Elsaß- Cothringen 
haben Mir zu Meiner lebhaften Genugthuung und Freude bestätigt, daß der 
innere Wiederanschluß dieses Landes au das deutsche Vaterland in erfreu- 
lichem Fortschritt begriffen ist. Es ist Mir und der Kaiserin und Königin, 
Meiner Gemahlin, überall ein Empfang bereitet worden, welcher Unsere Er- 
wartungen weit übertroffen hat, und welcher durch die sichtbare weitere Be- 
theiligung in sehr wohlthuender Weise Zeugniß von der freudigen Bewegung 
en Bevölkerung ablegte. Ich ersuche Sie, Meinen Dank zur allgemeinen 
Kenniniß zu bringen, dem Ich gern auch den Ausdruck Meiner Befriedigung 
für die allgemein enkgegenkommende und guie Anfnahme der Truppen wäh- 
rend der Uebungen siswl# Ich verlasse Elsaß-Lothringen heute mit dem 
herzlichen Wunsche für das fernere Gedeihen dieses schönen Landes und mit 
der erhöhten Zuversicht, daß einsichtsvolles Streben der Regierung und wach- 
sendes Vertrauen der Bevölkerung beide bald mit einem festen Bande ver- 
einigen werden.“ 
18. September. (Deutsches Reich.) Die Sprache der ruf- 
sischen Presse gegen Deutschland und gegen Oesterreich ist fortwährend 
die denkbar feindlichste und gehässigste. 
Wenn in den kesenm Tagen angesichts der Katastrophe von Kabul 
die Feindschaft gegen England, als den Rivalen in der Herrschaftüber Central= 
asien, besonders stark hervortrat, so ist die russische Presse heute bereits wieder 
zu den Angriffen auf Deutschland und Oesterreich zurückgekehrt, die bei der 
all-russischen und panflavistischen Parlei das dankbarste Publikum finden. 
Selbst die öfters wegen ihrer Mäßigung gerühmte „Molwa“ findet in den 
Geständnissen des Fürsten Gortschaloff gegenüber dem Berichterstatter des 
„Soleil“ durchaus nichts Unerwarletes, und stellt das Liebängeln mit Frank- 
reich als ein einfaches Mittel dar, die vermeintliche russische Mission zur 
Erhaltung des Gleichgewichts zwischen den Häusern Habsburg und Hohen- 
zollern zu erfüllen. Wolle das europäische Publicum in den Worten des 
ürsten Gortschakoff eine besondere Bedentung oder einen verborgenen Sinn 
Fürsen Lor so lasse sich dieß nur durch den fieberhaften Zustand erklären, 
in welchem die convulsivische Politik Bismarcks Europa be- 
ständig erhalte. „Die gegenwärlige politische Lage in Europa" prophezeit 
das russische Blatt, „kann nicht lange andauern. Ein Deutschland, das sich 
in Folge seiner eingebildeten Macht von Tag zu Tag mehr ruinirt, und 
ein Frankreich, welches von Tag zu Tag reicher und kräftiger wird, und 
trotzdem gezwungen ist, täglich Angenzeuge zu sein, wie die von ihm, d 
gerissenen Provinzen zusehends germanisirt werden — eine solche Lag 
Dinge ist einach unnatürlich. Der Revanche-Krieg wird arirsbrüli büer 
finden, was jedoch Rußland glücklicherweise nicht berührt. Dasselbe kann 
hiebei den ruhigen Zuschauer machen und denjenigen bon beiden Theilen 
durch seinen Einfluß unterstützen und kräftigen, dessen Untrrstlitung. und 
Kräftigung gerade seinen (Rußlands) eigenen Interessen mehr entspricht.“ 
Diesen Freundlichkeiten für das Deutsche Reich ebenbürtig sind die charakte- 
 
	        
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