Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

268 Das drulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oct. 31.) 
Nachlässen; dieses Gesetz documentire die Continuität des Standpunctes der 
Negierung mit ihren vorjährigen Verheißungen. 
lehtere Gesehzesentwurf ist jedenfalls von geringer practischer 
Bedeutung. Je nach der Höhe der Ueberschüsse an Reichseinnahmen sollen 
den verschiedenen Stufen der Classen= und der classificirten Einkommensteuer ein 
oder mehrere Monatraten erlassen werden und zwar allen Stufen gleichmäßig 
und selbst diese kleine Ermäßigung wird erst noch von einer ganzen Reihe von 
Bedingungen abhängig gemacht. Wenn nun alle jene Vorbehalte erledigt 
sind, so muß der verwendbare Ueberschuß mindestens 5 Millionen Mark be- 
tragen, d. h. geung um allen Steuerstusfen unter 6000 Mark eine Monatks- 
rate zu erlassen. Mit anderen Worten: mindestens 5 Mill. Mark sind er- 
forderlich, ehe der untersten Stufe der Classensteuer, d. h. den 2,697,365 
Personen, welche von einem Einkommen von 420—660 eine Steuer von 
3— jährlich benablen eine Monatsrate, d. h. 25 5., erlassen werden können, 
während den 10,483 Personen, welche von einem Einkommen von 5400 bis 
6000 .∆ an clafificirier Einkommensteuer 162 jährlich bezahlen, gleich- 
zeilig eine Monatsrate von 13½ -/ erlassen wird. 
31. October. (Hessen.) II. Kammer: lehnt den von der 
Regierung beantragten Verkauf des hessischen Antheils der Main- 
Weser-Bahn an Preußen mit 31 gegen 17 Stimen ab. 
Die Mehrheit findet die von der Regierung angeführten Gründe 
des Sinkens der Betriebsrente, des geringen Einflusses auf die Verwaltung, 
deren gestiegene Koslipieligkeit und die der Bahn in Aussicht stehende Con- 
currenz durch die neuen Linien Berlin-Wetlar, Hanan-Friedberg und 
Göttingen-Bebra-Frankfurt nicht schwerwiegend genng, während gegen den 
Verkauf die vorläufig unklare Lage des deutschen Eisenbahnwesens, die 
sichere Aussicht auf Wiederaufnahme des Reichseisenbahn-Projectes und 
die dann wesentlich günstigere Lage Hessens geltend zu machen sei, das 
dann, noch in Besih zweier rentabler Linien (Verbindungsglieder zwischen 
dem norddeutschen und dem süddentschen, so wie dem Eisenbahnnetze der 
Reichslande), in der günstigeren Lage sei, auch seine unrentabeln Linien ver- 
äußern zu können, während diese jenzt lahm gelegt würden. Die Minder- 
heit betont dagegen hauptsächlich den sinanziellen Gesichtspunkt und sieht 
jene Voraussehungen als kaum begründet und als hoffnungslose Erwartungen 
an. Das Kaufangebot Preußens sei trotz der sinkenden Rente der Bahn in 
deren Eigenschaft als durchgehende wichtige Verkehrslinie begründet und für 
später in dieser Höhe nicht zu erwarten. Die beslischen Interessen ließen 
sich durch den Kaufvertrag vollständig wahren. Der durch den gesteigerten 
Verkehr verursachte Mehraufwand und die noch als nothwendig erklärten Erwei- 
terungen und Neubauten würden eine weitere Schmälerung der Rente herbei- 
führen, da sie theilweise, wie die Erweiterung der Bahnhöfe Gießen und 
Treysa, unproductiv seien und die hessische „Negierung kein Mittel habe, sich 
den Verpflichtumgen) biernn zu enlziehen. Die bevorstehende Concurrenz der 
Bahnen Friedland-Bebra-Göttingen, Berlin-Coblenz und Hanau-Friedberg 
werde auf den Verkehr der Main-Weser-Bahn bedeulend einwirken, und ein 
weiteres Sinken der Rente sei vorauszusehen. Der Verkauf um die gebotene 
Summe von 17,250,000 —, durch welchen eine Rente vo on über oz. 
gesichert werde, sei nur rathsam; ein besserer Preis und eine * Rente 
sei schwerlich jemals wieder zu erzielen. 
— October. (Preußen.) Ueber eine Beilegung des Cultur- 
kampfes wird seit dem Besuche des Nuntius Jacobini bei dem 
  
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