274 Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Nov. 11.)
11. November. (Deutsches Reich.) Bundesrath: der Justiz-
ausschuß, welchem der Staatsminister Dr. Friedberg präsidirt, lehnt
bei der zweilen Lesung des Gesetzes über den Strafvollzog die Vor-
schläge der Vorlage wegen obligatorischer Einführung der Einzelhaft
gegen die Stimmen Preußens, Badens und Lübecks ab.
11.—13. November. (Preußen.) Abg.-Haus: Erste Berathung
des Gesetzentwurfs betr. die Erwerbung mehrerer Privatbahnen für
den Staat. Es steht zum voraus fest, daß die Regierung für ihre
Vorlage auf eine sichere Majorität zählen kann, die aus den Con-
servativen, den Freiconservativen und den Nationalliberalen sich zu-
sammensehzt, so daß sie der Unterstützung des ultr. Centrums entbehren
kann. Das Centrum beobachtet daher eine zuwartende Stellung.
Dagegen wird die Vorlage von der Fortschrittspartei, namentlich
Virchow und Richter, mit großem Nachdruck bekämpft, vom Minister
Maybach aber nicht weniger nachdrücklich vertheidigt. Miquel spricht
Namens der Nationalliberalen, wünscht, daß sich die Regierung mit
dem Ankauf der 3 Bahnen vorerst begnüge, und stellt eine Anzahl
von Garantieforderungen, deren Annahme er ausdrücklich zur Be-
dingung der Zustimmung seiner Partei macht. Schließlich wird die
Vorlage an eine Commission von 21 Mitgliedern gewiesen, welche
namentlich jene Garantieforderungen näher zu formuliren haben wird.
Aus der Debatte: Der Minister der öffentlichen Arbeiten May-
bach: Was in den Motiven als Mißstände des Privatbahnwesens hingestellt
wird, soll nicht ein Vorwurf gegen die sämmtlichen Privatbahnen sein, son-
dern beschränkt sich nur auf jene zweifelhaften und auf illoyale Weise zu
Stande gekommenen Unternehmungen, die für das Land ein Unglück gewesen
sind und die der Staat ankaufen mußte, um größeres Unglück abzuwenden.
Was die Privatbahnen sonst noch für Nachtheile mit sich bringen, das thun
sie secundum naturam sui gencris. Daß die Privatbahnen 1866 und
1870/71 in militärischer Beziehung bedeutendes geleistet haben, erkenne ich
gern und dankbar an. Allein das wird niemand läugnen wollen, daß sie
bei Vereinigung in einer Hand mehr hätten leisten können. (Widerspruch
links.) Eine so complicirte Maschine wie die Eisenbahnen wird, wenn man
sich schon im Frieden darauf einrichtet, im Kriege viel besser für die mili-
tärischen Zwecke verwendet werden können. Ich erinnere mich ganz genau
des Verlaufes der Truppenbewegungen, ich erinnere mich der Nothschreie über
die Störungen des Verkehrs; die Zersplitterung der Bahnen war damals
das Hinderniß, den Verkehr auch nur in geringerem Umfang anfrecht zu er-
halten, was doch im allgemeinen Interesse liegt. Es handelt sich übrigens
nicht um die Einführung vollständig gleicher Tarife, wie der Abg. Virchow
meinte, sondern um die Einführung gleichmäßiger Tarife; es gibt Mittel
und Wege, die Tarife zu umgehen, wie dieß besonders in einem benachbarten
Staate geschehen ist, wo eine Bahn 90 Proc. ihres Verkehrs lediglich durch
Refactien an sich gezogen hat. (Hört! rechts.) Man sagt nun: was hat
die Aufhebung der Differentialtarife für Holz der Forstverwaltung genutzt?
Was würden wir jetzt für Ausfälle im Forstetat zu constatiren haben, wenn