Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

314 Die Geslerreichisch-Augarische Monarchie. (Jan. 25.) 
das Centrum — der Großgrundbesitz — gegeben, von dem ein Blatt ganz 
richtig bemerkt, daß derselbe slets für Andrassy's Politik gestimmt haben 
würde, weil Andrassy die Regierung ist, auch wenn der Minister, statt nach 
Bosnien, nach Serbien gegangen, oder das Mandat gar nicht begehrt, den 
Einmarsch nicht bewerkstelligt hätte. Den Standpunct Ungers, d. i. der Re- 
gierung: daß der Vertrag eigentlich nicht vor das Haus gehöre, theilen nur 
sehr wenige; denn für den dem Standpunct des Ministers Unger (unöchft 
kommenden Antrag des Polen Dunajewsky: daß der Vertrag bloß zur 
Kenntuiß zu nehmen sei, stimmten bloß 58 — Polen, Rechtspartei, Minister 
und hohe Beamte aus dem Centrum — das ganze übrige Haus aber stimmt 
dagegen, anerkennt also die Competenz des Parlaments. In diesem einen 
Punct war die Verfassungspartei eimnühig. aber gerade darum konnte Sturm 
mit Recht sagen: die Regierung habe sich von der Partei, aus welcher sie 
bervorgegangen, getrennt. Inconsequent war es, daß, nachdem der polnische 
Antea# also durchgesallen war, die Minister bei dem Mehrheitsantrag für 
die Genehmigung des Vertrags stimmten, also das Princip, welches sie eben 
aufgestellt, wieder verwarfen. Consequenterweise hätten sie sich der Abstim- 
mung enthalten sollen, da es doch nicht geht, in einem Athem die Behauptung 
aufzustellen: das Parlament * kein Recht, den Vertrag zu genehmigen 
und daumn für die Genehmigung desselben zu stimmen. 
Die ganze Debatte über den Berliner Vertrag hat volle 9 Sitzun- 
gen in Anspruch genommen. Fragt man nach dem eigentlichen Resultat, 
so weist es für die Verpassungsparlei ein nicht unbedentendes moralisches 
Deficit auf, welches durch die Vorgänge in der Sitzung vom 25. und die 
Rede des Abg. Dr. Sturm wesentlich gesteigerl wurde. Der genannte Ab- 
geordnete hat als Generalredner der Opposikion sein Ziel weit überschossen. 
Anstatt bei dem Thema, dem Berliner Vertrag und der staalorechtlichen 
Frage, die er für das Parlament involvirt, länger zu verweilen, anstatt d 
auswärtige Politik eingeheuder unter das parlamentarische Secirmesser i 
legen, hat Dr. Sturm sich die Regierung als Augriffs= Object ausersehen, 
eine Regierung, die schon im Anfang October ihre Dimission gab und die, 
wie Minister Unger in seiner effectvollen Replik hervorhob, mit Sehusucht 
des Moment vhaus, wo sie von ihrem Posten abgelöst werden wird. Aller- 
dings hat Sturm eine formelle Handhabe zu seinem Pa gegen das 
Caliel, t6 ur, die Ausführungen des genannten Ministers über den Ber- 
liner Vertrag, allein im wesentlichen ließ er sie dennoch bei Seite, um das 
Ministerium, nur in minder glänzender Form, als man dieß von Hausner 
schon gehört, mit Vorwürfen über seine mangelnde Verfassungstreue zu über- 
bäufen und direct zu erklären: es könne sich nicht mehr als Bestandtheil der 
Verfassungspartei betrachten, seine (des Cabinets) Partei sei auf der Rechten 
zu suchen. So groß auch der Beifall war, den die Rede Sturms im Haufe 
und auf den Gallerien fand, die Antwort des Ministers Unger machte nicht 
minderen Eindruck, und zwar durch die tiefe moralische Entrüstung, die aus 
jedem Wort des Ministers über diese Vorwürfe dem Cabinet gegenüber zu 
Tage trat. Was Minister Unger von der Verfassungstreue des Cabinets 
vorbrachte, wie der Minister auf die Verdienste desselben um die Entwicklung 
der Verfassun binwies, mit welcher Eloquenz er den Unterschied zwischen 
einer staatsre nlichen Verfassungsinterpellation und der Verfassungstreue selbst 
hervorhob — all dieß mußte gehört werden, um den *-. Eindruck jener 
Worte auf das Haus beurtheilen zu können. Und in der That, was man 
uach immer dem Cabinet vorwerfen möge, ein Ministerium, das in dem 
ugenblick seine Dimission gab, in dem es den Ausgleich mit Ungarn ab- 
lossen und damit auf weitere 10 Jahre te Berfahsmngsbasis consolidirt. 
d und zwar troh der ihm zur di sehenonn Mehrheit seine Di- 
 
	        
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