Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zwanzigster Jahrgang. 1879. (20)

Die Oesterreichisch-AUngarische Monarchie. (Juni 24.) 331 
Wahlaufruf immer wieder die föderalistischen Tendenzen auf, die sich in der 
„Anpassung des Verhältnisses der böhmischen Krone zum Gesammtreich“ 
äußern. ie im einzelnen sich die Czechen die Regelung dieses Verhälknisses 
denken, welche speciellen Concessionen sie verlangen, gibt der Wahl -anfruf 
nicht an. Hierin liegt — jedenfalls die Hauptschwierigkeit der Verständigung; 
denn wenn auch die Deutschen zu einer solchen durchaus geneigt sind, so 
werden sie sich doch nie zu irgendwelchen Concessionen verstehen, welche das 
Princip der Solidarität aller Deutschen in Oesterreich verlehen würden. Im 
übrigen ist der zechische Wahianfeuht in einem maßvollen und versöhn- 
lichen Tone gehalten, vermeidet die üblichen Anklagen und Recriminationen 
und enthält hauptsächlich die dringende Bitte an die Verfassungspartei und 
die Regierung, den czechischen Parteisührern das Aufgeben der Passivität und 
den Eintritt in den Reichsrath möglichst zu erleichtern. Die letzten Sätze 
des Aufrufs sind direct an die erchsien Wähler selbst gerichtet, und fordern 
dieselben auf „in patriotischem Geiste“ die Entscheidung über die Reichsraths- 
beschickung den gewählten Äbgeordneten zu überlassen. 
24. Juni. Die Handelsminister beider Reichshälften haben 
sich über die Einbeziehung Bosniens und der Herzegowina in das 
österreichisch-ungarische Zollgebiet vollkommen geeinigt. 
24. Juni. (Oesterreich: Böhmen.) Für die bevorstehenden 
Reichsrathswahlen in Böhmen wird unter dem Einflusse der Re- 
gierung oder vielmehr speziell des Grafen Taaffe zwischen den ver- 
fassungstreuen und den feudalen Großgrundbesitzern Böhmens ein 
Compromiß abgeschlossen, wonach eine gemeinsame Candidatenliste 
aufgestellt wird, von der der verfassungstreuen Mehrheit nur 13 Na- 
men angehören, der feudalen Minorität der Thun, Clam-Martiniz, 
Lobkowitz rc#. dagegen 10 überlassen werden, unter der einzigen Be- 
dingung, daß dieselben in den Reichsrath eintreten und sich somit 
factisch auf den Boden der Verfassung stellen. Die neuverbündeten 
Partein erlassen trotzdem gesonderte Wahlmanifeste. 
urch diese Manifeste erhält das Compromiß wenigstens eine gewisse, 
wenn 43 noch nicht ganz klare, Beleuchtung. Das Manifest der fenu- 
dalen Großgr zbeihoer ist ein ziemlich umfangreiches Schriftstück und 
enthält eine a#wiuhriich hn Angabe der Gründe, welche zur Herbeiführung einer 
Verständigung mit dem versassungstreuen Grohgrundbesip mahgebend waren; 
daneben wird aber auch wiederholt und mit deutlichen Worten betont, daß 
durch den gethanen Schritt keineswegs mit den früher verfochtenen Prin- 
cipien gebrochen werde. Der bisherigen Passivität dürfe nicht die Absicht 
der Repristinirung vormals gewesener Zustände und staares Festhalten am 
Buchstaben bestimmter Rechtstitel, nicht die Begünstigung nationaler Hege- 
monie-Gelüste, nicht das Streben nach einseitigem Particularismus unterge- 
schoben werden. Nur in ihren Rechtsanschauungen und Ueberzeugungen seien 
die Motive des Verhaltens der Feudalen zu suchen, und diese hätten sie be- 
stimmt, den sich kreuzenden Strömungen der Zeit und dem oft in unfrucht- 
barer und verwirrender Ueberstürzung sich vollziehenden Wechsel der Formen 
und Gestaltungen des öffentlichen Rechtes gegenüber für die Wahrung der 
Continnität des Rechtes einzustehen, die Gewährung und Gewährleistung 
vollen gleichen Rechtes und freier Entwicklung nationalen Lebens für alle 
 
	        
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