Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

94 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (März 8—9.) 
kum abzuwälzen. Die Regierung hatte eine Erhöhung auf M 5 
vorgeschlagen. 
7. März. (Deutsches Reich.) Die Regierung notificirt 
Oesterreich-Ungarn ihre Bereitwilligkeit zur Wiederaufnahme der 
handelsvertrags-Unterhandlungen. 
 
8—9. März. (Deutsches Reich.) Reichstag: Berathung 
der Vorlage betr. Abänderung der Verfassung bez. zweijähriger Etats 
und Verlängerung der Legislaturperioden. Der Reichskanzler er- 
scheint nicht in der Sitzung. Die ausschlaggebende ultramontane 
Partei nimmt eine zweifelhafte Stellung ein. Die Vorlage wird 
an eine Commission gewiesen. 
Die liberalen Fractionen sind von vornherein einmüthig gegen die 
Vorlage. Die Darlegung ihrer Argumente gegen die Verkümmerung der 
Stellung des Reichstags hat v. Bennigsen lnat.-lib.) übernommen und 
nachdem selbst der conservative Freiherr v. Marschall sich zwar für die 
zweijährige Etatsperiode, aber für die alljährliche Berufung des Reichstages 
ausspricht, muß der Präsident des Reichsamtes des Innern, Bötticher, 
bereits erklären, daß die Regierung, wenn die zweijährige Etatsperiode be- 
willigt werde, nichts gegen die jährliche Berufung des Reichstages einzu- 
wenden habe. Der clericale Reichensperger bewahrt eine ziemlich zwei- 
deutige Haltung, und Laster (Secessionist) charakterisirt das „Schwanken“ 
des Centrums damit, daß es des Preises noch nicht sicher sei, mit welchem 
die Regierung durch Concessionen auf kirchenpolitischem Gebiete das Votum 
dieser Partei in der Frage der Etats-Perioden erkaufen wolle. Hänel 
(Fortschr.) verlangt für die Aufgebung von werthvollen politischen Rechten 
einen Ersatz, welchen die Fortschrittspartei zu einem Vergleich bewegen könnte. 
Der k. württ. Bundesrathsbevollmächtigte v. Schmid erklärt, die 
Regierungen erkennten als das richtige Mittel gegen das Zusammentagen 
des Reichstags und der Landtage die Einführung zweijähriger Etatsperioden 
im Reich und in den Einzelstaaten, soweit sie in diesen noch nicht bestehen. 
Ein Vergleich Deutschlands mit anderen Staaten sei unzutreffend: die Lage 
Deutschlands biete ein Unicum, mit welchem gerechnet werden müsse. Windt- 
horst erinnert daran, daß er zur Regierung solange kein Vertrauen haben 
könne, bis sie nicht den kirchenpolitischen Kampf aufgegeben habe. Bezüglich der 
Vorlage sei er für eingehende commissarische Vorberathung. Er hoffe, daß 
die jährliche Berufung des Reichstags nicht bloß Schein sein soll. Er ist 
der Meinung, daß man wohl das Budget auf zwei Jahre vorberathen könne. 
Man würde noch besser fortkommen, wenn der Zusammentritt des Reichs- 
tags vorher festgesetzt würde, so daß die Einzelstaaten sich danach einrichten 
könnten. Außerdem solle die Regierung nicht so viele Vorlagen einbringen, 
ein bis zwei ordentliche Gesetze wären genug. Windthorst schließt: Ver- 
weisen wir die Vorlage in eine Commission, sehen wir was diese berichtet 
und sprechen wir dann weiter. 
Die principielle und practische Tragweite der Vorlage tritt in der 
Debatte klar zu Tage. Die Motive, die dabei den Reichskanzler geleitet, 
erklärt sich die nat.-lib. „Nationalztg.“ in folgender Weise: Daß Fürst 
Bismarck das Reich, seine eigene Schöpfung, so reich ausgestattet wie möglich 
hinterlassen will, sei ja ganz zweifellos. Sein unausgesetztes Bestreben sei 
es, dem Reiche neue Machtmittel zuzuführen, die Reichsinstitution nicht bloß 
äußerlich über die Nation zu spannen, sondern sie auch innerlich mit dem 
  
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.