Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

XIV Allgemeine Chronik. 
von Berlin aus. Der Reichskanzler scheint den Ausgang desselben 
als entscheidend für seine Steuer- und Wirthschaftsreform anzusehn. 
Die halbamtliche Prov.-Corr. feiert ihn als den „Anwalt des kleinen 
Mannes". Seine Schmeichler hoffen, daß der „conservative Hauch“ 
sich zu einem Sturmwind gestalte, der die Fortschrittspartei und den 
Liberalismus wegfege oder doch wenigstens ganz unschädlich mache. 
2. Mai. [Oesterreich-Ungarn — Serbien.] Abschluß eines Handelsvertrags 
 
zwischen beiden. 
„ [Oesterreich-Ungarn: Oesterreich.] Reichsrath: Zeithammer und der 
Czechenclub bringen einen Antrag ein, der dahin geht, den bisher 
überwiegend verfassungstreuen böhmischen Großgrundbesitz  in 5 Wahl- 
kreise, zu zertheilen,  wovon den Czechen in 2 oder 3 die Mehrheit ges- 
ichert wäre. 
3.  ,, [Deutsches Reich.] Bundesrath: genehmigt die Erweiterung des 
preußischen Volkswirthschaftsrathes in einen deutschen ganz nach dem 
Willen des Reichskanzlers und lehnt ein im Interesse der kleinen 
Staaten gestelltes Amendement gegen 18 Stimmen ab. 
„  ,, [Deutsches Reich.] Reichstag: die Unfall: Commisson ändert die 
reichskanzlerische Vorlage durch ein Compromiß der Conservativen 
und Ultramontanen gründlich ab: die Reichsversicherungsanstalt wird 
durch föderale Landesanstalten ersetzt, die Carenzzeit von 4 auf 2 
Wochen herabgesetzt und der Staatszuschuß (Staatssozialismus) ganz 
beseitigt. Die Prämien sollen ohne Unterschied zu ⅓ von den Ar- 
beitnehmern und zu ⅔ von den Arbeitgebern getragen werden. 
5.  ,, [Deutsches Reich.] Bundesrath: der Reichskanzler stellt den An- 
trag, auf frische Trauben einen Eingangszoll von 15 Mark zu setzen 
und den Zoll auf Mühlenfabrikate (gegen Oesterreich) von 2 auf 3 Mark 
zu erhöhen. 
,,  ,,  [Deutsches Reich.] Reichstag: lehnt die Vorlage betr. 2jähriger 
Etals ab und spricht nur den Wunsch aus, daß der Reichstag all- 
jährlich im October (also vor den Landtagen) einberufen werden 
möge. Reden Bennigsens und Bismarcks. 
6.  ,,  [Deutsches Reich.] Reichstag  Innungscommission: entscheidet 
sich mit 11 gegen 9 Stimmen für halbe Zwangsinnungen und wählt 
mit denselben Stimmen den Grafen Wilhelm Bismarck zum Bericht- 
erstatter, doch lehnt selbst sie die Handwerkerkammern, welche v. Kleist- 
Retzow und Graf v. Bismarck in den Entwurf hineinbringen 
wollen, ab. 
7.  ,,  [Deutsches Reich.] Reichstag: lehnt die Wehrsteuer-Vorlage des 
Reichskanzlers und des Bundesraths einstimmig und fast ohne De- 
batte ab. 
,,  ,,  [Dänemark.] Da eine Vereinbarung mit dem Folkething über das 
Budget nicht zu Stande zu bringen ist, löst das Ministerium Estrup 
dasselbe auf und ordnet Neuwahlen an, bei denen indeß die Radi- 
calen 3 weitere Stimmen gewinnen. 
,,  ,,  [Bulgarien.] Staatsstreich des Fürsten: er verlangt von der Volks- 
vertretung  die Suspension der Verfassung, widrigenfalls er die Krone 
niederlegen zu wollen erklärt. Die Volksvertretung suspendirt darauf 
einstimmig die Verfassung. 
10.  „ [Oesterreich- Ungarn.] Vermählung des Kronprinzen mit der 
Prinzessin Stephanie von Belgien 
,,  ,,  [Norwegen.] Der Storthing beschließt ein neues Wehrgeseß nach 
dem Muster des schweizerischen Milizsystems. Der König versagt 
 
	        
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