Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 1—4.) 137
der Landesgesetzgebung gegen den Staatszuschuß sich ausspräche. Dann
würde damit also die Sache rein in das Gebiet des freien Verkehrs sozu-
sagen gewiesen werden; man würde dann die Versicherer der Privatindustrie
vielleicht besser überlassen, als daß man eine staatliche Einrichtung ohne
Zwang übt. Denn ich würde nicht den Muth haben, den Zwang auszu-
sprechen, wenn der Staat nicht auch gleichzeitig einen Zuschuß anbietet.
Würde der Zwang ausgesprochen, so ist es nothwendig, daß das Gesetz zu-
gleich Versicherungsinstitute beschafft, was wohlfeiler und sicherer ist, wie
jedes andere. Man kann nicht den Sparpfennig des Armen dem Concurse
aussetzen, man kann auch nicht zugeben, daß ein Abzug von den Beitragen
als Dividende oder zur Verzinsung von Actien gezahlt würde. Der Herr
Abg. Bamberger hat ja gestern seinen Angriff auf das Gesetz wesentlich mit
der Klage über den Ruin der Versicherungsgesellschaften — er hat sich stark
ausgedrückt: daß die zerdrückt, zermalmt werden würden, und hat gesagt,
daß diese Versicherungsgesellschaften sich um die Dankbarkeit ihrer Mitbürger
bewürben. Ich habe immer geglaubt, sie bewürben sich um das Geld ihrer
Mitbürger. (Heiterkeit.) Wenn sie aber auch dafür noch die Dankbarkeit
zu Buch bringen können, so ist Das eine geschickte Operation. Daß sie aber
als edle Seelen sich für die Arbeiterinteressen bei der Einrichtung ihrer Ver-
sicherungsgesellschaften auf Actien zu opfern bereit waren, habe ich nie ge-
glaubt, ich würde mich auch schwer davon überzeugen. (Abg. Bebel: Sehr
gut!) Und für solche Privatversicherungsgesellschaften, die in Concurs ge-
rathen können, auch bei guter Verwaltung, durch Conjuncturen, durch große
Unglücksfälle , die genöthigt sind, ihre Beiträge so einzurichten, daß noch für
den, der sein Capital dazu hergibt, Dividende übrig bleibt, wenigstens eine
gute Verzinsung und auch die Hoffnung auf Dividende, zu solchen Ver-
sicherungen können wir nach meinem Rechtsgefühl Niemanden zwingen, und
da möchte ich meinen Beistand dazu versagen Das Correlat für den Zwang
bildet meines Erachtens auch die Uebernahme der Versicherung durch den
Staat in der Form des Reichs oder in der Form des Einzelstaates, ohne
Das kein Zwang. Ich habe auch nicht, wie ich schon erwähnte. den Muth,
den Zwang auszuüben, wenn ich nicht etwas dafür zu bieten habe. Dieser
Drittelbeitrag des Staates ist ja viel geringer, wie ich schon vorher gesagt
habe, als er aussieht, weil dafür den Verbänden, auf die der Staat seine
ihm obliegende Armenpflege abgebürdet hat, doch auch sehr wesentliche
Leistungen abgenommen werden. Ist Dies Communismus, wie der Herr
Vorredner sagte, nicht Sozialismus, so ist Das mir wiederum gleichgiltig,
ich nenne es immer wieder practisches Christenthum in gesetzlicher Bethä
tigung, — aber ist es Communismus, dann ist der Communismus ja längst
in den Gemeinden im höchsten Maße geteieben, ja sogar durch staatlichen
Zwang. Der Herr Vorredner sagte, daß auf unsere Weise die unteren
Classen durch indirecte Stenern belastet würden, um für die Armenpflege
den Beitrag aufzubringen Ja, meine Herren, was geschieht denn aber in
den großen Städten, in dem nach seiner Meinung vom fortschrittlichen Ringe
so glänzend verwalteten Berlin!? Da wird der Arme dadurch verpflegt, daß
der Verarmende, der morgen sein gleich armer Bruder sein wird, wenn er
wegen der Miethssteuer ausgepfändet ist, durch Miethssteuer den Beitrag
aufbringen muß, um den schon Armen zu verpflegen. Das ist viel härter,
als wenn Das aus der Tabaksteuer oder Branntweinsteuer käme. Der Herr
Vorredner hat gesagt, ich hätte eine Rede gegen die Branntweinsteuer ge-
halten. Das ist mir wirklich nicht erinnerlich, und ich wäre sehr dankbar,
wenn er mir Das aus irgend einem Worte nachwiese. Ich habe immer den
Tabak und den Branntwein als die Gegenstände zu stärkerer Belastung ge-
nannt, ich habe nur in Zweifel gezogen, ob es nützlich ist, den Branntwein