Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Oct. 2—4.) 259 
Anfang October. (Preußen.) Die Generalverfammlung der 
Rhein-Nahe-Bahn beschließt, auf den neuen ihr angebotenen Grund- 
lagen mit der Regierung zu unterhandeln. Auch eine Reihe anderer 
Privatbahnen, mit denen die Regierung Unterhandlungen wegen Ver- 
staatlichung angeknüpft hat, scheinen bereitwillig darauf einzugehen. 
2. October. (Deutsches Reich.) An dem internationalen 
sozialistischen Congreß in Chur (s. Schweigz) betheiligt sich kein ein- 
ziger deutscher Sozialdemokrat von Bedeutung. Genannt werden 
nur Braun (Altona) und der in der Schweiz lebende Becker. 
3. October. (Baden.) Landtagswahlen: dieselben fallen für 
die bisher herrschenden Nationalliberalen noch ungünstiger aus, als 
nach dem Ergebniß der Wahlmännerwahlen schon angenommen wer- 
den mußte. Die neue Kammer besteht aus 31 Liberalen, 23 Ultra- 
montanen, 5 Demokraten, 3 Conservativen und 1 Wilden (Beam- 
teten), während der vorige Landtag 42 Liberale, 15 Ultramontane, 
3 Demokraten und 2 Conservativen zählte; die Liberalen haben 
also 11 Sitze verloren und die Ultramontanen 9, die Demokraten 
und Conservativen je 1 Sitz gewonnen. 
Ein Berichterstatter der „Köln. Ztg.“ begleitet das Resultat mit fol- 
gender Bemerkung: „Der in neuerer Zeit (und zwar nicht nur auf ultra- 
montaner und demokratischer Seite) wieder sehr stark hervortretenden Hin- 
neigung zum Particularismus und der steigenden Abneigung gegen alles, 
was preuwzisch und norddeutsch heißt — man fühlt sich oft an die von 1866. 
herrschende Stimmung erinnert —, erwächst leider die meiste Förderung aus 
der Bedrohung wichtiger Interessen unseres Landes durch das in Aussicht 
gestellte Tabakmonopol. Dieß muß ganz oifen gesagt werden, gleichviel ob 
man theoretisch und generell für oder gegen das Monopol sein mag und ob 
man die eben bezeichneten Erscheinungen gern sieht oder tief bedauert.“ 
4. October. (Bayern.) II. Kammer: die ultramontane 
Mehrheit bestellt den großen Finanzausschuß aus 9 Mitgliedern 
von der Rechten und 6 Mitgliedern von der liberalen Linken. Das 
für die Mehrheit besonders wichtige Cultusreferat wird dem Führer 
der Extremen Dr. Rittler übergeben. Der Abg. v. Hafenbrädl, unter- 
stützt von der exkremen Rechten, bringt neuerdings den Antrag ein, 
die Werktagsschulpflicht von 7 auf 6 Jahre herabzusetzen. Dagegen 
scheitert der Plan der Extremen, das Ministerium Lutz durch eine even- 
tuelle Mandatsniederlegung seitens der gesammten Rechten zum Rück- 
tritt zu zwingen, an 23 Mitgliedern der gemäßigten Rechten, welche sich 
weigern, zu einem folchen Schritt von verfassungsmäßig zweifelhafter 
Berechtigung und von ebenso zweifelhaftem Erfolge die Hand zu 
bieten. Die Gegner prophezeien der neuen Kammermehrheit bereits 
dasselbe Schicksal, das die frühere Mehrheit um allen Erfolg brachte. 
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