Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

338 Die Oeflerreichisch-Uugarische Monarchie. (April 4—5.) 
4. April. (Oesterreich.) Reichsrath: die föderalistische Mehr- 
heit desselben genehmigt die geradezu scandalöse Wahl Puzyna in 
Galizien. 
Die Wahl wirft ein characteristisches Streiflicht auj die Vergewalti- 
gung der Ruthenen Galiziens durch die Polen und auf die Connivenz der 
Regierung dabei. Seit der Anerkennung der 3 oberösterreichischen Grund- 
besiherwahlen am 18. Dec. v. J. durch die Majorität des Reichsraths und 
der damaligen Haltung der Negierung darf sich die verfassungstreue Partei 
darüber freilich nicht wundern. Die Wahl wird anerkannt, obgleich sie nur 
durch gewaltthätige Ausschließung von Wählern, durch Einschüchterung der 
ruthenischen Bevölkerung, durch bestochene Wahlstimmen zu Gunsten des 
Herru Puzyna ausfiel und selbst unker solchen Verhältnissen nur dadurch 
aufrechterhalten werden konnte, daß man hinterher eine Control-Liste fabri- 
cirte, wie man sie eben brauchte. Eine Untersuchung wurde in Folge der 
ruthenischen Beschwerden von der Regierung allerdings eingeleitet. Aber 
wie wurde sie durchgeführt. Der Regierungsvertreter muß selbst zugeben. 
daß es unangemessen war, die Untersuchungen durch die betheiligten Bezirks- 
hauptleute, gegen welche sich die Beschwerden richteten, führen zu lassen, 
und daß ein Verfahren, wo der Bezirkshauptmann sich jelbst zu Protocoll 
vernimmt, somit gleichzeitig als die Vernehmung leitender Beamten, als ein 
vernommener Zeuge und als Protocollführer erscheint, sich weder beschönigen 
noch rechtfertigen lasse. Wenn ein solches Urtheil von der Regierungsbank 
gefällt wird, wie scharf muß dann ein völlig unbefangenes Urtheil ausfallen? 
Commission für Vorberathung des Antrags des Grafen Wurm- 
brand, die deutsche Sprache als Staatssprache anzuerkennen: der 
Antrag hat keine Aussicht auf Annahme. 
In seiner Weise drückt Graf Taaffe, der Minister der „Verständi- 
gung“, diese Aussichtslosigkeit des Antrages dahin aus, daß die Opportu- 
nitäk, einen solchen Gesehentwurf einzubringen, nur dann als vorhanden 
angenommen werden könne, wenn vorher eine Verständigung unter den ver- 
schiedenen Nationalitäten und politischen Parteien erfolgt sein würde.“ Das 
heißt so viel, als daß der Antrag erst dann Aussicht habe, angenommen zu 
werden, wenn er überslüssig Veworden sein wird. Es bleibt ihm also nur 
noch die Chance, abgelehnt zu werden, die Aussicht, daß eine Neichsralher 
Majorität sich gegen die Aufrechterhaltung des Jaktände erklärt, den Graf 
Wurmbrand mit seinem Antrage schützen wollte, die Perspective auf ein 
Votum gegen die Staatssprache, welches ohne den Antrag muthmaßlich unter- 
blieben wäre. Der Antrag wäre offenbar besser niemals eingebracht worden. 
5—6. April. (Oesterreich.) Reichsrath: genehmigt die Ver- 
staatlichung der Westbahn, womit die Ausdehnung des Staatsbahn- 
netzes in Oesterreich eingeleitet werden soll, in 2. und 3. Lefung 
mit 133 gegen 112 Stimmen. 108 Abgeordnete, nahezu ein volles 
Drittel des Hauses, fehlen bei der Abstimmung. 
Die Minderheit gegen die Vorlage gehört der Verfassungspartei an. 
Das Princip der Verstgeklichung steht indeß auch ihr außer Frage, es 
handelt sich nur um die Modalitäten derselben: wie der Staat eine Last 
auf sich nehme, die größer sei als diesenige, die er bis jetzt unter dem Titel 
der Staatsgarantie getragen, und andrerseits den Actionären eine sichere 
Mehr-Rente gewähre, wo sie nur die Hoffnung, und zwar eine sehr vage
	        
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