Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

408 Spanien. (Anf. Aug. — 21.) 
theidiglen diese die Stadt, und unsere Flagge, die auf dem Gebäude des 
Viceconsulats wehte, blieb unversehrt. Noch am Morgen des 17. war sie 
dort zu sehen; die Frangosen aber rissen sie herunter, plünderten die Amts- 
wohnung des Viceconsuls, die Kanzlei, die Magazine, bemächtigten sich der 
Archive und ließen in dem ganzen Hause nicht einen Stuhl ganz“ u. f. w. 
Ein in Spanien lebender Deutscher schildert die Stimmung folgendermaßen: 
„Liebe für Frankreich hat hier, einige Querköpfe ausgenommen, nie ge- 
herricht. Im Gegentheil, die Spanier pflegen auf die französische Armee, 
die der ihren an Zahl allerdings weit überlegen ist, mit Verachtung herab- 
zusehen. In der aus 100,000 Mann im Frieden, 300,000 Mann im Krieg 
bestehenden spanischen Armee, welche jetzt dem König direct unterstellt ist, 
herrscht ein tüchtiger Geist. Die gemeinen Soldaten gehören zu den besten 
der Welt, das Officiercorps ist mit dem französischen ungesähr gleichartig, 
Generale und obenein reichbesoldete Generale hat das arme Spanien etwa 
sechsmal so viel als nöthig. Wird das beste Sechstheil unter diesen Gene- 
ralen ausgesucht, so hat die Armee eine treffliche Führung; die anderen 
Herren mit den hohen Titeln würden allerdings vom Uebel sein. Min- 
destens eben so fehr als in Rußland würden freilich Intendantur und 
Lieseranten im Kriegsfall die Armee bestehlen und dadurch derselben einen 
starken Hemmschuh anlegen. Die Flotte ist nicht viel werth. So viel heiß- 
blütiger der Spanier ist als der Deutsche, so viel feuriger wird alljährlich 
der 2. Mai von Militär und Civil gefeiert, als bei uns der 2. September 
und so dafür gesorgt, daß der Haß gegen Frankreich nie einschläst. Kein 
MWunder, daß jetzt, man kann sagen, das ganze spanische Volk erstens aus 
Neid wegen des Fußfassens der Franzosen in Tunis, zweitens aus Furcht, 
die Uebermacht derselben möchte allzu sehr anwachsen, und drittens wegen 
der Vorkommnisse in der Provinz Oran gegen die Nachbarn im Harnisch 
ist, und daß die Mehrheit der Zeitungen, statt Vernunft zu predigen, immer 
mehr aufstachelt. Zum Krieg kommt es trotz alledem doch nicht.“ In- 
zwischen will Frankreich zwar die in Oran geschädigten Spanier entschä- 
digen, macht aber eine Gegenrechnung für die im Karlistenkriege geschädigten 
Frangosen, die von Spanien bis jeht nichts erhalten haben, geltend. 
Anfang August. Die Regierung betreibt mit großem Eifer 
einen umfassenden Plan für die Reorganisation des spanischen Heeres. 
14. August. Wahl der sogen. Interventores, d. h. der Ver- 
trauensmänner, die am 21. ds. bei der Wahlhandlung in den ein- 
zelnen Bezirken als Vorstände, Beisitzer und Protocollführer fungiren 
sollen. 
Von den in Madrid gewählten 180 Interventoren gehören 118 der 
ministeriellen, 56 der conservativen und nur 6 der demorratischen Partei an; 
von den in den Provinzen gewählten 5356 Interventoren gehören 3989 der 
ministeriellen Partei, 1281 der Opposition und 86 keiner determinirten 
Parteirichtung an, so daß in 514 Provincialwahlbezirken nur ministerielle, 
in 306 vorwiegend ministerielle und in 115 vorwiegend oppositionelle In= 
terventoren fungiren werden. Es läßt sich mithin schon übersehen, in wel- 
chem Sinne die Abgeordnekenwahlen werden ausfallen müssen; die Regierung 
wird jedenfalls eine ansehnliche Kammermehrheit erzielen, eben so wie die 
stärkste Minoritätengruppe der Cortes den Conservativen gehören wird. 
21. August. Allgemeine Neuwahlen zum Congresse. Das Re- 
sultat ist, daß das Ministerium über eine Kammermehrheit von
	        
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