Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

Frankreich. (Sept. 4.—6.) 459 
bevorsiehenden Wahlen dürften es auch gewesen sein, welche das Ministerium 
Ferry bestimmten, sogleich nach Abschluß des sog. Garantievertrages mit dem 
Bey von Tunis den größten Theil der Truppen aus Tunesien zurückzuziehen. 
Dieß, sowie möglicherweise auch der Umstand, daß die Frangosen aus übel 
angebrachter Schonung für die Antorität Mahomed-es-Sadok's darauf ver- 
zichtet hatten, die Stadt Tunis selbst militärisch zu besetzen, hat dem Fana- 
lismus und der Kampflust der Tunesier neue Nahrung gegeben, und bald 
trat an allen Enden des Landes ein verwegenes Brigantenthum auf, welches 
die französische Regierung nöthigte, einem Theile der bereits in ihrer Heimat 
befindlichen Truppen wieder Marsch-Ordre zu geben. Einen ähnlichen Ver- 
lauf wie in Tunis nehmen die Ereignisse auch im südlichen Theile der 
Provinz Oran, dem Schauplagze der algerischen Insurrection. Auch hier 
war, nachdem es mit Mühe und Noth gelungen war, Bu-Amema um die 
Mitte Juli vom Tell (Hochplatean) über die Schotts (Salzseen) nach der 
Sahara zurückzudrängen, eine scheinbare Nuhe eingetreken, welche der neue 
Militär-Commandant von Algerien, der tüchlige und energische General 
Saussier, zur Vorbereitung der Herbstcampagne benüßt. Allerdings wird 
sehr viel davon abhängen, welche Entwicklung die orientalische Frage in 
Europa nimmt. „In Indien, in Cenlkral-Asien, in Nord-Afrika und in — 
Bosnien hat der Sultan ein Ventil zur Hand, durch dessen geschickten Ge- 
brauch er den Eiser reguliren kann, welchen die bei dem Zusammensturze 
des oltomanischen Reiches am meisten in Mitleidenschaft gezogenen Mächte, 
England, Rußland, Frankreich und Oesterreich, zur Lösung der Orient-Frage 
entwickeln. Trügen nicht alle Anzeichen, so ist heute schon der electrische 
Strom, welcher die ganze muselmanische Welt von Stambul bis zum Kaspi- 
und Aralsee und vom Ganges bis zum Geblzal-Tarik durchziktert, geschlossen, 
und es bedarf nur eines leichten Druckes an den Gestaden des Bosporus, 
um den Fanatismus in allen Gauen zu entzünden, wo Mahomedaner ihre 
Heimslätten aufgeschlagen haben. Sollte die orientalische Frage nochmals 
in leichtsinniger Weise ins Nollen gebracht werden, so könnte es leicht ge- 
schehen, daß, während die letzten Mahomedauer den Bosporus überschreiten, 
ein Welkbrand jene Gegenden ergreift, wo einst die Wiege der Menschheit 
war und das classische Alterthum seine Heimat hatte.“ 
4. September. Vornahme der Stichwahlen als Ergänzung 
der Wahlen vom 21. August. 
Das Resullat ergibt 56 Nepublicaner, 3 Noyalisten, 3 Bonapartisten. 
Die Republicaner gewinnen sieben Eite von den Bonapartisten, drei von 
den Royalisten und verlieren zwei. Die neue Kammer umfaßt mit Aus- 
schluß der Abgeordneten aus den Colonien 459 Republicaner, 57 Bonapar- 
tisten, 41 Monarchisten. Das linke Centrum umfaßt 41, die Linke 168, die 
Union Republicaine 206, die äußerste Linke 46 Mitglieder. 
6. September. Die Lage der Dinge in Tunis und Algier 
wird immer bedenklicher. Roustan trifft aus Tunis in Paris ein, 
um die Regierung zu berathen. Zahlreiche Truppen gehen fort- 
während nach Afrika ab. Der Kriegsminister Farre entnimmt die- 
selben den verschiedenen Armeecorps in allen Theilen Frankreichs 
und desorganisirt dadurch die ganze Armee. Noustan verlangt indeß 
weitere 25,000 Mann nur für Tunis, um die Insurrection definitiv 
zu Boden zu schlagen. 
 
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.