508 Rußlaud. (April 11-27.)
11. April. Der Kaiser geht mit dem Hofe nach Gatschina,
einem bisher unbewohnten, ziemlich einsamen Jagdschlosse unweit
St. Petersburg, wo er sicherer zu sein glaubt als in der Residenz.
15. April. Hinrichtung der Kaisermörder außer der Jesse
Helfmann wegen ihrer Schwangerschaft.
19. April. Abaza, der Genosse Melikoff's, wird als Chef des
Preßdepartements entlassen.
Auswärtige Blätter berichten ausführlich über einen an diesem Tage
unter dem Vorsihee des Kaisers angeblich abgehaltenen Ministerrath, in
welchem mit 9 gegen 5 Stimmen die Niedersehung einer Commission de
rélaction d. h. einer aubereitenden Commission für weitere Reformen be-
hufs Einleitung constitutioneller Einrichtungen beschlossen worden sei. Der
angeblich beschlossene Ukas erscheint jedoch niemals. Die Verhandlungen
des Conseils hätten mit der Verlesung folgender drei Documente begonnen:
1) Graf Melikoff's Vorschlag zur Einberufung einer Commission de redac-
tion, auf welchem Actenstück der verstorbene Kaiser die Worte „Ich gebe
meine Zustimmung" niedergeschrieben hatte; 2) der Ukas an den regierenden
Sehat. unterzeichnet von dem verblichenen Kaiser am 1/13. März um
Uhr Vormiktags, und 3) ein neuer, für die Unterschrift des neuen
ga entworfener Ukas. Während der Vorlesung dieser Urkunden, die
über eine Stunde in Anspruch nahm, blieb das Antlitz Sr. Majestät unver-
ändert, da der Inhalt derselben ihm bereits bekannt ist. Se. Majestät ent-
schied sodann, daß diejenigen der Anwesenden, welche Vorschläge über den
Gegenstand zu machen wünschten, dieß thun sollten. Das Ergebniß der Dis-
enssion war folgendes: Zu Gunsten des Vorschlags stimmten 9 Minister,
nämlich die Grafen Adlerberg, Melikoff, Milutin, Walujeff, die HH. Abaza
(Finanommiste) v. Giers, Nabokoff, Saburoff, Solsky (Generalcontroleur);
dagegen 5, nämlich: Fürst Lieven, s#enemal Admiral Po sreit (Minister der
Eisenbahnen), Hr. Makoff (osi und Telegraphen), Hr. Pobedonostseff
(Procurateur der heiligen Synode), und Graf Stroganoff, deer kein Staats-
minister ist, aber auf Weisung des verstorbenen Kaisers außerordentlichen
Ministerräthen beiwohnt. Der Großfürst Wladimir wohnte dem Conseil
ebenfalls an, ohne sich an der Abstimmung zu betheiligen. Der Kaiser er-
hob sich und dankte der Versammlung. Er jagte: „Meine Herren! Die
Mehrheit hat sich mithin in dem Sinn ausgedrückt, daß der Vorschlag zur
Einberufung einer von allen Classen gewählten vorbereitenden Commission
im Interesse des Staats sausgefuhr. werde. Ich stimme mit der Mehrheit
überein und wünsche, daß der Ukas diese neue e Reform dem Andenken unseres
Baters, von dem sie ausging, zuschreibe. Der Minister des Innern wird
den Ukas in lüebereinstimmmng mit den von uns gemachten Bewerkungen.
vorbereiten.“ Alle 2 moesenden standen als der Kaiser sprach.
drückte dem Grafen Melikoff warm die Hand und daukte ihm berch
Daun ersuchte er die Minister, seine Entscheidung in geringfügigen Dingen
nicht anzurufen. Solche Angelegenheiten sollten von den Ministern selber
entschieden werden.
27. April. Der Kaiser richtet an den Staatskanzler Fürst
Gortschakoff gelegentlich seines 25jährigen Jubiläums als Minister
des Auswärtigen ein überaus huldvolles Schreiben. Derselbe wird
auch bei dieser Gelegenheit nicht entlassen, sondern bleibt nominell