Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

510 Kaßland. (Mai 14—16.) 
auch den immer der Stimme des Guten und der Ehre folgenden landbe- 
sihenden Adel heranzog, schuf er die großen Justigreformen und berief feine 
Unterthanen, welche er ohne Unterschied auf immer frei machte, zur localen 
und allgemeinen wirthschesttichen Selbstverwaltung Ja! Möge sein An- 
denken immerdar gesegnet sein! Der durch verworfene Ungeheuer verübte 
gemeine und verruchte Mord des russischen Herrschers inmitten seines treuen 
Volkes, das stets bereit ist, für ihn sein Leben hinzugeben, ist ein grauen= 
haftes, schmachvolles, in Rußland unerhörtes Ereigniß, welches unser ganzes 
Land in Trauer und Entsezen hüllte. In unserer großen Betrübniß be- 
fiehlt uns Gottes Stimme fest die Zügel der Regierung zu 
halten! in der Zuversicht auf die göttliche Vorsehung und in 
dem Glauben an die Kraft und die Wahrheit der selbstherr- 
scherlichen Gewalt, welche wir berufen sind, zu befestigen und 
zu bewahren vor jeder nfechtung zum Wohle des Volkes. Jal 
Mäögen sich wieder bernhigen die von Erregung und Entsehen erfüllten 
Herzen unserer getrenen Unterthanen, Aller, die das Vaterland lieb haben 
und von Geschlecht zu Geschlecht treu zu dem angestammten Herrscherhaufe 
standen. Unter seinem Schuhe und mit ihm in unverbrüchlichem Bunde 
hat unser Land mehr als Einmal Zeiten großer Unruhe durchlebt und ging 
es durch schwere Prüfungen und Drangsale hindurch zu Kraft und Ehre 
im Glauben an Gott, den Lenker seines Geschickes. Indem wir uns unserer 
großen Aufgabe weihen, rufen wir alle unsere getreuen Unterthanen auf, 
uns und dem Staate in Treue und Wahrheit zu dienen zur A närottung 
der nichtswürdigen aufrührerischen Bestrebungen, wocche die russische Erde 
mit Schande bedecken, zur Befestigung von Sittlichkeit und Glauben, zu 
rechtschaffener Erziehung der Kinder, zur Vernichtung von Lüge und Verun- 
treuung, zur Herstellung von Ordnung und Necht in der Thätigkeit der 
Rußland von seinem Wohlthäter, unjserem vielgellebten Vater, verliehenen 
Institutionen.“ 
Das Manifest soll von dem Geheimrath Pobedonoszew verfaßt sein 
und derselbe also den vollständigen Sieg über die Zarin und den Grafen 
Loris-Melikoff davongetragen haben. In St. Petersburg ruft dasselbe bei 
allen Parteien geradezu Bestürzung hervor. Der „Porzadok“" (Ordnung) 
äußert: „Rußland kennt jeyt seine Zukunft“, der „Golos“ meint, daß mit 
dem Manifest das „Ende der Uebergangszeit" bezeichnet werde. Graf Loris- 
Melikoff dringt neuerdings auf seine Entlassung. Dasselbe wird von 
Kochanoff, Abaza, Wiljutin, Nicolai und Giers behauptet. 
14. Mai. Das nihilistische Executivcomité erläßt eine Ant- 
wort auf das Manifest des Kaisers vom 11. d. M. Die Antwort 
ist sehr ruhig gehalten und ergeht sich in einer retrospectiven Kritik 
der Reformen Alexanders II.; intendirte und angefangene Maßregeln 
seien noch keine Reformen: „Die Befreiung des russischen Volkes 
wird kommen, weil sie kommen muß.“ 
15. Mai. Judenkrawalle in Odessa und in anderen Orten. 
Auch in Warschau, Petersburg und Moskau werden solche versucht, 
aber rechtzeitig unterdrückt. 
16. Mai. Die Entlassung des Grafen Loris Melikoff wird 
vom Zar „aus Gesundheitsrücksichten“ angenommen und statt seiner 
Graf Ignatieff zum Minister des Innern ernannt. Ebenso wird 
 
	        
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