Glad-
stone.
544 Lebersicht der polilischen Entwicklung des Jahres 1881.
geradezu entgegen gesetzten Interessen der Mächte hervor, der dem
türkischen Reiche doch noch eine längere Existenz zu versprechen
scheint.
Schon der Berliner Vertrag suchte der Pforte wenigstens eine
gewisse Frist zu sichern, weßhalb er auch eine Reihe von Fragen, die
früher oder später gelöst werden mußten, vorerst unerledigt ließ.
Die Mächte felbst schienen zunächst wenig Lust zu haben, diese
Fragen so rasch an die Hand zu nehmen. Nur der unerwartet
eingetretene Umschwung in England, der Gladstone, den grimmen
Gegner Oesterreichs und der Türken, wieder an's Ruder brachte,
zwang sie dazu. Der erste Versuch war indeß nicht gerade glücklich
und selbst für Gladstone nicht sehr ermuthigend. Der ganze Rest
des Jahres 1880 ging darüber hin, Montenegro in den Besitz der
kleinen türkischen Hafenstadt Dulcigno zu setzen und um dieß win-
zige Resultat zu erzielen, wurden materielle Kräfte in Bewegung
gesetzt, die dazu in gar keinem Verhältniß standen und sich schließlich
eben um der inneren Disharmonie der Mächte willen, die durch
das sog. europäische Concert nur schwach verhüllt wurde, als un-
wirksam zeigten, bis es der Diplomatie gelang, die Frage ohne
DTiegrie-Waffengewalt zu lösen. Die Lösung der griechisch-türkischen Grenz-
chisch-
türkische
Frage.
frage war noch schwieriger. Zwar konnte nicht geläugnet werden,
daß das Königreich Griechenland von den Mächten seiner Zeit in
allzu geringem Umfange bemessen worden war, in der That zu
klein zum Leben und zu groß zum Sterben, daß die Mächte, na-
mentlich England, demselben während des russisch-türkischen Krieges
gewisse Aussichten eröffnet und ihm sogar allgemeine Zusicherungen
einer ansehnlichen Bergrößerung beim Friedensschlusse gemacht hatten,
um es davon abzuhalten, auch seinerseits gerade im kritischen Mo-
ment über die Türkei herzufallen, daß jene Zusicherungen im Ber-
liner Vertrage im Allgemeinen erneuert und von der Berliner Con-
ferenz später durch Thessalien und Epirus näher präcisirt worden
waren. Allein die Pforte, die durch den Vertrag von San Stefano
und den Berliner Congreß in ihrem europäischen Gebiete ohnehin
so stark beschnitten worden war, hatte ganz und gar keine Lust, sich
auch nach Abschluß des Friedens noch weiter beschneiden zu lassen
und schien es auf die Anwendung von Gewalt ankommen lassen zu
wollen, wozu die Mächte in ihrer Gesammheit doch keine Lust hatten,
wenn auch Gladstone und England keinen Anstand zu nehmen ge-
neigt waren, auch weiterhin rücksichtslos in den Leib der nach ihrer