Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

34 Das deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 19.) 
stellung bes preußischen Kriegsministers so gut und so glatt? Sachlich er- 
scheint sie mir schwieriger noch, als die der anderen Ressorts, und Roon war 
auch kein leicht zu lebender Character. Sollte die nationale Gesinnung 
unserer Generale schärfer ausgeprägt sein als die unserer altconstitutionellen 
Minister? Ich glaube, wenn Camphausen zugibt, daß wir 50 Millionen 
Mark mehr brauchen, wie ich glaubte auch wohl 100, was indessen nur er 
sachlich und amtlich beurtheilen kann — so kann er darüber nicht zweifel- 
haft sein, daß es seine Aufgabe und nicht meine ist, ein Finankreiormproe 
gramm vorzulegen und dasselbe verantwortlich zu vertreken: daß ich ihm 
dabei, wenn ich gesund bin, nach Kräften assistiren werde, ist sellliwooständ- 
lich, und um so mehr, wenn ich ihm etwa bei collegialischer Verhandlung 
über seine Absichten zu Modisicationen seiner Vorschläge bewogen hätte. 
Sobald ich seine Reformpläne kenne, wird mein Votum über dieselben von 
dem Entgogenkommen geleitet sein, welches seine Sachkunde und mein colle- 
gialisches Gejühl bedingen. Wenn aber ein solches Programm gar nicht 
oder nicht rechtzeilig zur Vorlage kommen sollte, so werde ich entweder den 
Ablauf meines Urlaubs ohne Betheiligung am Reichstage abwarten oder 
mich vor dem Reichstage unter Darlegung meiner vorstehenden Auffassungen 
auf die Nolle beschränken, die Art. 70 dem Reichskanzler zuweiset.“ Einem 
Schreiben des Ministers v. Bülow an den Reichskangler vom 20. Dec. 
1877 wird noch das folgende entnommen: „Ew. #c. verfehle ich nicht den 
Empfang der geneigten Zuschrift vom 24. dankend zu bestätigen. In Ge- 
mäßheit derjelben habe ich vorgestern eine zweite Unterredung mit dem Fi- 
nanzminister gehabt. Derselbe nahm meine Anseinandersehung mit Interesse 
— und ich sollte meinen auch mit Lefriedigung — auf und sagte zu. seiner- 
seits ein Finanzprogramm zur Vorlage und zur Discussion zu bringen: 
Verständigung darüber und namentlich, Durchbringen beim Reichstag würden 
immerhin schwierig sein; er wolle aber das Beste hoffen und nehme Ew. 
Durchlaucht Zusage: wenn eine Verständigung erreicht sei, collegialisch #für. 
eintreten zu wollen, dankbar an.“ — Auch was den Nücktritt des 
nisters Delbrück betrifft, würde die „Nordd. Allg. Ztg.“, wie sie sogt. 
dafür Beweise beibringen können, daß derselbe lediglich aus der Inleinem 
des Ministers selbst hervorgegangen und von ihm ausschließlich durch Be- 
zugnahme auf den Gefundheitszustand motivirt worden ist. „Weder die 
Bilten des Reichskanzlers, denen sich eine dringliche Unterstützung aller- 
höchsten Ortes anschloß, noch das Anerbieten eventueller Beseitigung sach- 
licher Gründe, wenn etwa solche vorhanden sein sollten, vermochten Herrn 
Delbrück in seinem Entschlusse wankend zu machen.“ . 
Die Enthüllungen machen nicht geringes Aufsehen, doch bleibt es 
zweifelhaft, was der Reichskanzler gerade in diesem Augenblick mit denselben 
eigentlich bezweckt, indem die einen meinen, daß damit dem Finanzminister 
Bitter bedeutet werden soll, der Reichskanzler könne zwar auch nach dieser 
Richtung einen Anstoß geben, die Ausführung bleibe aber immerhin ihm, 
dem Finanzminister, und seiner Verantwortlichkeit überlassen, andere, es 
werde damit auf eine Spannung zwischen dem Kanzler und den Conserva= 
tiven hingedeutet, denen durch die Erinnerung an die damaligen Zeiten ge- 
sagt werde, wie der Kangler nicht daran denke, sich etwa von ihnen. leiten 
zu lassen, sondern daß sie ihm einfach Heeresfolge zu leisten hälten. Schließ- 
lich einigt man sich dahin, daß vielleicht spätere Enthüllungen darlegen wer- 
den, woraus die gegenwärtigen gemünzt sind. 
19. Jannar. (Preußen.) Abg.Haus: Budgetcommission: 
beschließt auf den Antrag des Conserv. Minnigerode mit 13 (cons., 
ultram. u, fortschr.) gegen 4 (nat.-lib. u. frei-cons.) Stimmen, den
	        
Waiting...

Note to user

Dear user,

In response to current developments in the web technology used by the Goobi viewer, the software no longer supports your browser.

Please use one of the following browsers to display this page correctly.

Thank you.