Full text: Europäischer Geschichtskalender. Zweiundzwanzigster Jahrgang. 1881. (22)

46 Has deulsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Jan. 29.) 
Die Debatte enbeicht, wie in solchen Fällen häufig den hochge- 
spannten Erwartungen nicht oder doch nur in dehr bescheidenem Maße. 
Der gew. Finanzminister Hobrecht (nat.-lib) findet den Stenererlaß un- 
meiikt, da kein Beweis vorhanden, daß künftig die Mittel dazu vorhanden 
sein würden. Die jehige Herabminderung der extraordinären Ausgaben aus 
2 Proc, der Gesamaltantsgaden sei dauernd unhaltbar, die gegenwärtige Stei- 
gerung der Zolleinnahmen zufällig 2c. Die Bewilligung des Steuererlasses 
bedinge eine Bewilligung neuer Reichsstenern. Die Abgeordneten Richter 
und Minnigerode erhofften von jenem ganz verschiedene Wirkungen. Wer 
sei der Getäuschte? Betreffs der Ueberweisung an die Communen und Auf- 
hebung einiger Classensteuerstufen sei weder Einigkeit noch Klarheit vorhanden. 
Manu solle das alte Stenersystem nicht zerstören, sondern reformirend erhalten. 
Die Einbringung formulirier Anträge sei Regierungs= nicht Parteisache. 
Eine stückweise Steuerreform wäre ein Abenteuer, auf das er und seine 
Freunde nicht eingehen würden. Finanzminister Bitter hebt hervor, daß 
die Verhandlungen der Budgetcommission gezeigt hätten, daß die Finanzver= 
hällnisse des Staats keineswegs zu ernsten Bedenken Anlaß geben. Gegen- 
über der Behauptung, daß bei dem Deficit von 28 Millionen ein Steuer- 
erlaß nicht am Platze, sei darauf hinz 
für nicht eigentliche Etatsposten, son 
tenen Zwecke in den Etat eingestellt 
eine hünstige, beweise, daß eine Meh 
uweisen, daß vierundzwanzig Millionen 
dern zus einem zufällig eintretenden sel- 
eien. Daß die Finanglage des Staates 
hreinnahme von 16 Millionen wähsen 
  
der ersten sieben Monate bis zum Schluß des dritten Quartals auf 22 Mil- 
lionen gestiegen, ebenso hätten die Reichseinnahmen vom October an 3 in 
unerwarteter Weise gesteigert. Der Steuererlaß könne daher ohne jede Ge- 
fahr eintreten. Die Regierung habe vorsichtig nicht sofort einen dauernden 
Stenerlaß vorschlagen können, aber sie könne den Antrag Richters und Min- 
nigerode's im Princip nicht bekämpfen, lehyzterer bewege sich in der nämlichen 
Richtung, wie die Regierungsvorlage, welche ebenfalls hoffte, den Erlaß zu 
einem dauernden zu machen. v. Rauchhaupt (conserv.) bestreitet die con- 
servative „Abenteuerlust". Der conservative Vorschlag gehe nicht über das 
Verwendungsgesey hinaus. Eine Partei könne zwar nicht ein paragraphirtes 
Steuergeseh, wohl aber die Grundzüge dazu einbringen, diese Grundgedanken 
seien: eine Personalsteuer (vereinigte Classen= und Einkommensteuer) solle er- 
hoben werden, und zwar in den untersten Stufen in Höhe von drei 
Biertheilen des bisherigen Betrages, bei 9000 Mark Einkommen solle die 
Steuer drei Procent erreichen und weiter sich bis vier Procent steigern. 
Die Contingentirung sei aufguheben, Selbsteinschaliug solle stattfinden, fun- 
dirtes Einkommen würde extra besteuert (Capital= oder Vermögens-Steuer): 
verbunden damit solle die Neorganisation der Gewerbesteuer sein; die Real- 
Stenerfrage bleibe offen. Die Conservativen böten als stärksle Partei diesen 
Plan der NRegierung a 
In der Abstimmung erklären sich für den dauernden Steuererlaß 
in ersler Linie die Fortschrittspartei und die Conservativen und mit ihnen 
das Centrum und die Seressionisten, dagegen die Nationalliberalen und die 
Freiconservativen, von denen sich übrigens einige der Abstimmung enthalten. 
29. Januar. (Deutsches Reich.) Bundesrath: der Reichs- 
kanzler läßt demselben (und gleichzeitig auch dem preußischen Volks- 
wirthschaftsrath) einen Ges.-Entw. betr. Abänderung der 8§ 97 bis 
104 der Gewerbeordnung d. h. ein Innungsgesetz (jedoch mit Aus- 
schluß des Princips directer Zwangsinnungen) zugehen. 
Der Gesehentwurf hat in seinen wichtigsten Bestimmungen fol-
	        
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