Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (April 23—24.) 63
23. April. (Deutsches Reich.) Reichstag: genehmigt den
von der Regierung mit Serbien abgeschlossenen Handelsvertrag.
23. April. (Preußen.) Eine Kabinetsordre verfügt die Auf-
lösung der Berliner Stadtverordnetenversammlung und die Anord-
nung von Neuwahlen noch im Laufe dieses Jahres.
24. April. (Deutsches Reich.) Reichstag: Kommission für
Vorberatung des Militärpensionsgesetzes: beschließt, die weitere Be-
ratung des Gesetzes zu vertagen, um eine strikte Ablehnung der Re-
gierungsvorlage seitens des Reichstags zu vermeiden.
Den Stein des Anstoßes bildet die Kommunalsteuerfrage. Der
Kriegsminister gibt die bestimmte Erklärung ab, daß die verbündeten Regie-
rungen eine Hereinziehung der Kommunalbesteuerungsfrage in Ansehung der
Offiziere und, wie er sich wiederholt ausdrückt, „eine Bepackung des Pensions
gesetzes mit dieser heterogenen Materie“ nicht zugeben könnten. Die Not-
wendigkeit der legislatorischen Ordnung der Kommunalbesteuerungefrage wird
jedoch von den Rednern der verschiedenen Fraktionen ohne Unterschied der
Parteistellung zugegeben, wenn auch der freikons. Abg. v. Kardorff und der
konserv. Abg. v. Manteuffel sich bereit erklären, das Pensionsgesetz zu be-
willigen, ohne daß die Kommunalbesteuerungsfrage gleichzeitig in der einen
oder in der anderen Weise mit zur Erledigung gelange. Während aber Hr.
Windthorst auch bei dieier Gelegenheit eine vorsichtige Reserve beobachtet, er-
klärt sein Fraktionsgenosse, der bayerische Frhr. v. Aretin, die Regelung der
fraglichen Angelegenheit, namentlich mit Rücksicht auf die in dieser Hinsicht
zwischen Nord= und Süddeutschland bestehende Verschiedenheit, für unbedingt
geboten. Unter diesen Umständen kann Hr. v. Bennigsen mit Recht konsta-
tieren, daß man, sofern die Hereinziehung der Kommunalbesteuerungsfrage
aus formalistischen Gründen abgelehnt werden sollte, für das Pensionsgesetz
eine Majorität im Reichstag nicht finden werde. Hr. v. Bennigsen lommt
dabei auf den früheren Kompromißvorschlag zurück, wonach wenigstens das
Privatvermögen der Offiziere mit Kommunalsteuern zu belegen sein würde,
insoweit dies in Ansehung des Einkommens aus dem Grundbesitz und aus
etwaigem Gewerbebetrieb nicht bereils der Fall ist. Bei dieser Gelegenheit
machen Windthorst, v. Bennigsen und Richter wiederholt den Versuch, darüber
einige Klarheit zu gewinnen, ob der Kriegsminister auch jetzt noch bei der
" Pensionierung von Offizieren in verantwortlicher Weise beteiligt sei oder ob
nicht in dieser Hinsicht eine Erweiterung der Befugnisse des Militärkabinets
Platz gegriffen habe. Auch hier wird wiederum die angeblich heterogene
Natur des Gegenstandes betont, und dasselbe Argument wird seitens des
Kriegsministers Richter entgegengehalten, als derselbe ür die Plenarverhand-
lung des Reichstages die Hereinziehung der weiteren Frage in Aussicht stellt,
ob man die Militärpensionäre künftighin noch der besonderen Militärgerichts-
barkeit unterstellt lassen könne. Damit ist die Reihe der schwierigen Fragen,
mit welchen sich die Kommission zu beschäftigen hatte, noch nicht beendigt.
Es kommt noch die wichtige Frage, ob und inwieweit dem Gesetz den älteren
Pensionären gegenüber rüchwvirkende Kraft beizulegen sei, in Betracht. Der
Kriegsminister ist dafür, den Kaiser, unker Heranziehung des Reichsinvaliden=
fonds, durch einen Dispositionsfonds in den Stand zu setzen, namentlich den
Pensionären aus den Jahren 1870 und 1871 gegenüber Unbilligkeiten und
Härten zu beseitigen, während man liberalerseits die Regelung dieses wich-
tigen Gegenstandes durch das Gesetz für unerläßlich hält und Richter aus-