Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

68 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 1—2.) 
Windthorsts Opposition gegen den Antrag Rickert erkläre sich aus seiner Art, 
jetzt alles dilatorisch zu behandeln und nicht Farbe zu bekennen, weil er selbst 
dilatorisch behandelt werde. Was die Regierungsvorlage dem Arbeiter biete, 
sei kein Brot, sondern ein Stein und verletze die Interessen der Arbeiter. 
Es bedürfe einer gründlichen Umarbeitung des Entwurfes in der Rommission 
und um die Basis einer gemeinsamen Verständigung zwischen der Kommission 
und dem Plenum zu schaffen, sei der Antrag der geeignete Weg. Finanz- 
minister Scholz dankt für das allseitig bekundete Bestreben, die sozialpoli- 
tischen Reformen möglichst schnell durchzuführen; aber der Antrag Rickert sei 
nicht der richtige Weg dazu. Es bleibe mit Vorteil nur das von der Bot- 
schaft befürwortete Mittel der sofortigen Beratung des Etats, damit die 
Wintersession, von jeder Etatsberatung befreit, ganz der Sozialpolitik ge- 
höre. Durch Beschluß des Reichstags ist der Antrag Rickert thatsächlich 
beseitigt; deun wenn die Kommission die Neigung hätte, einen Vorbericht 
über die prinzipiellen Bestimmungen der Vorlage zu erstatten, hätte es jener 
Anträge nicht bedurft. Das Motiv der Ablehnung seitens der konservativ= 
tlerilalen Majorität ist unschwer Zu erraten: die Parteien haben keine Nei- 
gung, schon jetzt zu erklären, daß sie die Vorlage der Regierung als unan- 
nehmbar betrachten und, was das Schlimmste ist, daß sie bieher noch nicht 
wissen, was sie an die Stelle derselben seben sollen. Zudem fürchten sie, 
aß die Beratung der Grundsätze im Plenum die Etatsberatung zurückdrängen 
könnte, ohne daß deßhalb die Unfallversicherung wesentlich gefördert würde. 
In der That wurde der Antrag Rickert allseitig als gegen die sortige Be- 
ratung des Etate für 1881.85, wie es die Botschaft des Kaisers verlangte, 
gerichtet angesehen. 
1.—2. Mai. (Preußen.) Abg.-Haus: 2. Lesung des Zu- 
ständigkeitsgesetzes als der Ergänzung der Abänderung resp. Be- 
schränkung der Selbstverwaltung nach der Vorlage der Regierung. 
Die Anträge der Kommission entsprechen im Wesentlichen den For- 
derungen der Regierung, werden dagegen keilweise von liberaler und 
ultramontaner Seite nachdrücklich bekämpft, schließlich jedoch mit 
nur unwesentlichen Modifikationen angenommen. 
2. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: 2. Beratung eines 
Antrags von Eugen Richter, die „Militärverwaltung durch eine 
Resolution zu Beschränkung der Militärindustrie (Kantinenwesen, 
Militärhandwerker ect.) aufzufordern.“ Eine Zuschrift des Reichs- 
kanzlers erklärt den Ausdruck des Antrags die „Militärverwaltung 
aufzufordern“ für verfassungswidrig: 
„Jeden Gesetzesvorschlag und jede für den Bundesrat bestimmte Mit- 
teilung des Reichstags wird der unterzeichnete Reichskanzler bereitwillig zur 
Kenntnis des Kaisers und zur Beratung des Bundesrats bringen, und wenn 
eine solche Vorlage die Militärverwaltung betrifft, so werden deren  Organe 
im Bundesrat Gelegenheit haben, sich über dieselbe auszulassen. Gegen die 
dem erwahnten Antrage zu Grunde liegende Voraussetzung der Möglichkeit 
aber, daß die Militärverwaltung des Reiches verpflichtet oder berechtigt sein 
könnte, direklen Aufforderungen des Reichstags Folge zu leisten, oder die- 
selben auch nur amtlich entgegenzunehmen, glaube ich im Namen des Kaisers 
Verwahrung einlegen zu sollen.“ Richter erklärt sich sofort bereit, seinen 
Antrag stalt an die Militärverwaltung an den Reichskanzler zu richten, be-
	        
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