68 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Mai 1—2.)
Windthorsts Opposition gegen den Antrag Rickert erkläre sich aus seiner Art,
jetzt alles dilatorisch zu behandeln und nicht Farbe zu bekennen, weil er selbst
dilatorisch behandelt werde. Was die Regierungsvorlage dem Arbeiter biete,
sei kein Brot, sondern ein Stein und verletze die Interessen der Arbeiter.
Es bedürfe einer gründlichen Umarbeitung des Entwurfes in der Rommission
und um die Basis einer gemeinsamen Verständigung zwischen der Kommission
und dem Plenum zu schaffen, sei der Antrag der geeignete Weg. Finanz-
minister Scholz dankt für das allseitig bekundete Bestreben, die sozialpoli-
tischen Reformen möglichst schnell durchzuführen; aber der Antrag Rickert sei
nicht der richtige Weg dazu. Es bleibe mit Vorteil nur das von der Bot-
schaft befürwortete Mittel der sofortigen Beratung des Etats, damit die
Wintersession, von jeder Etatsberatung befreit, ganz der Sozialpolitik ge-
höre. Durch Beschluß des Reichstags ist der Antrag Rickert thatsächlich
beseitigt; deun wenn die Kommission die Neigung hätte, einen Vorbericht
über die prinzipiellen Bestimmungen der Vorlage zu erstatten, hätte es jener
Anträge nicht bedurft. Das Motiv der Ablehnung seitens der konservativ=
tlerilalen Majorität ist unschwer Zu erraten: die Parteien haben keine Nei-
gung, schon jetzt zu erklären, daß sie die Vorlage der Regierung als unan-
nehmbar betrachten und, was das Schlimmste ist, daß sie bieher noch nicht
wissen, was sie an die Stelle derselben seben sollen. Zudem fürchten sie,
aß die Beratung der Grundsätze im Plenum die Etatsberatung zurückdrängen
könnte, ohne daß deßhalb die Unfallversicherung wesentlich gefördert würde.
In der That wurde der Antrag Rickert allseitig als gegen die sortige Be-
ratung des Etate für 1881.85, wie es die Botschaft des Kaisers verlangte,
gerichtet angesehen.
1.—2. Mai. (Preußen.) Abg.-Haus: 2. Lesung des Zu-
ständigkeitsgesetzes als der Ergänzung der Abänderung resp. Be-
schränkung der Selbstverwaltung nach der Vorlage der Regierung.
Die Anträge der Kommission entsprechen im Wesentlichen den For-
derungen der Regierung, werden dagegen keilweise von liberaler und
ultramontaner Seite nachdrücklich bekämpft, schließlich jedoch mit
nur unwesentlichen Modifikationen angenommen.
2. Mai. (Deutsches Reich.) Reichstag: 2. Beratung eines
Antrags von Eugen Richter, die „Militärverwaltung durch eine
Resolution zu Beschränkung der Militärindustrie (Kantinenwesen,
Militärhandwerker ect.) aufzufordern.“ Eine Zuschrift des Reichs-
kanzlers erklärt den Ausdruck des Antrags die „Militärverwaltung
aufzufordern“ für verfassungswidrig:
„Jeden Gesetzesvorschlag und jede für den Bundesrat bestimmte Mit-
teilung des Reichstags wird der unterzeichnete Reichskanzler bereitwillig zur
Kenntnis des Kaisers und zur Beratung des Bundesrats bringen, und wenn
eine solche Vorlage die Militärverwaltung betrifft, so werden deren Organe
im Bundesrat Gelegenheit haben, sich über dieselbe auszulassen. Gegen die
dem erwahnten Antrage zu Grunde liegende Voraussetzung der Möglichkeit
aber, daß die Militärverwaltung des Reiches verpflichtet oder berechtigt sein
könnte, direklen Aufforderungen des Reichstags Folge zu leisten, oder die-
selben auch nur amtlich entgegenzunehmen, glaube ich im Namen des Kaisers
Verwahrung einlegen zu sollen.“ Richter erklärt sich sofort bereit, seinen
Antrag stalt an die Militärverwaltung an den Reichskanzler zu richten, be-