Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Juni 5—6.) 87
haber unbedingt abberufen werden dürfen; 2) für die Anordnung einer Stell-
vertretung oder einer Hilfeleistung in einem geistlichen Amte. Art. 2. Auf
Verweser (Administratoren, Provisoren ect.) eines Pfarramts findet die Vor-
schrift des Artikels 1 nicht Anwendung. Art. Die Zuständigkeit des
königlichen Gerichtshofes für kirchliche Angelegenheiten zur Entscheidung auf
Berufungen gegen die Einspruchserklärung der Staatsregierung bei 1) über-
tragung eines geistlichen Amts (§ 16 des Gesetzes vom 14. Mai 1873),
2) Anstellung als #hrrr oder zur Wahrnehmung der Disziplin bei kirch-
lichen Anstalten. welche der Vorbildung der Geistlichen dienen (§ 12 des
Gesetzes vom 11. Mai 1873), 3) Ausübung von bischöflichen Rechten oder
Verichtungen in erledigten katholischen Bistümern (§ 3 des Gesetzes vom
20 Mai 1874), wird ausgehoben. Art. 4. An die Stelle des § 16 im
Gesetz vom 11. Mai 1873 tritt nachfolgend Bestimmung: Der Einspruch
findet statt, wenn dafür erachtet wird, daß der Anzustellende aus einem
Grunde welcher dem bürgerlichen oder staatsbürgerlichen Gebiete angehört,
für die Stelle nicht geeignet sei, insbesondere wenn seine Vorbildung den
Vorschriften dieses Gesetzes nicht entspricht; die Gründe für den Einspruch
sind anzugeben. Gegen die Einspruchserklärung kann innerhalb dreißig
Tagen bei dem Minister der geistlichen Angelegenheiten Beschwerde erhoben
werden, bei dessen Entscheidung es bewendet. Art. 5. Die Vorschrift des
Artikels 5 im Gesetze vom 14. Juli 1880 wegen Strafreiheit der Vornahme
geistlicher Amtshandlungen in erledigten oder solchen Pfarreien, deren In-
haber an der Ansübung des Amtes verhindert ist, kommt für alle geistlichen
Amter und ohne Rücksicht darauf, ob das Amt besetzt ist oder nicht, zur
Anwendung. Art. 6. Die den Bestimmungen der Artikel 1 bis 4 dieses
Gesetzes entgegenstehenden Vorschriften der Gesetze vom 11. Mai 1873, vom
20. Mai 1874 und 21. Mai 1874 werden aufgehoben.
Dem Gesetzentwurf ist eine naͤhere Motivierung beigefügt, zuerst
eine allgemeine Begründung: „Die Bemühungen der Staatsregierung,
eine friedlichere Ausgestaltung der Beziehungen zwischen Staat und katho-
lischer Kirche zu fördern, sind, nachdem es gelungen, eine geordnete Diözesan-
verwaltung in den meisten Bistümern der Monarchie wiederherzustellen, in
erster Linie darauf gerichtet gewesen, im Interesse der Katholiken Preußens
die Wiederherstellung einer genügenden Seelsorge in den katholischen Pfarr-
gemeinden herbeizuführen. Zu dem Ende sind durch die kirchenpolitischen
Novellen vom 14. Juli 1880 und 31. Mai 1882 wesentliche Erleichterungen
sowohl wegen geistlicher Bedienung der Gemeindeglieder in erledigten
Pfarreien als auch in Betreff der Voraussetzungen für die Bekleidung eines
geistlichen Amtes überhaupt, namentlich bezüglich des sogenannten Staats-
examens, geschaffen worden. Auch ist es der Staatsregierung gelungen, eine
große Zahl Stellen landesherrlichen Patronats, bei denen die Benennungspflicht
der geistlichen Oberen nicht in Frage kommt, mit Seelsorgern zu befehen.
Aber eine durchgreifende Abhilfe bleibt von einer Regelung der Benennungs-
pflicht abhängig. Von dieser Erwägung geleitet, hatte die Staatsregierung
in der Vorlage vom Jannar 1882 (Art. 4 und 5 des Entwurfs) Maß-
nahmen vorgeschlagen, welche die Mitwirkung des Staates bei Besetzung geist-
licher Amter auf ein Maß zurückführen sollte, welches der bis zur Einführung
der Verfassungsurkunde in den verschiedenen Teilen der preußischen Monarchie
bestandenen Ubung und den in anderen deutschen Staaten bestehenden und
und durch längere Erfahrung bewährten geseblichen Bestimmungen entspricht;
und es sollte ferner, unter Ausscheidung der Thätigleit des Gerichtshofes für
lirchliche Angelegenheiten auf diesem Gebiete, in Betreff des Einsprucherechts
des Staates ein Verfahren geschaffen werden, welches der friedlichen Verstäu-
digung zwischen den Organen des Staats und der Kirche Raum schafft. Wenn