Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 17.) 131 
Die Nordd. Allg. Ztg. beginnt, beinahe Tag für Tag, gegen die Times 
zu polemisieren und diese Erscheinung ist jo außergewõhnlich, daß sie allge- 
meines Aufsehen erregt. Nun waren die Times in lehter Zeit allerdings auf- 
fallend bemüht, die Franzosen von ihren Bestrebungen in Tongking, Mada- 
gaskar ect., wo sie die englischen Interessen bedrohen, nachdrücklich abzumahnen 
und sie dagegen auf die Gefahren hinzuweisen,  die ihnen möglicherweise in 
Europa und von Deutschland her drohten. Dennoch glaubt man in Deutsch- 
land, daß die Angriffe der Nordd. Allg. Ztg. weniger den Times selbst als 
vielmehr der Regierung Gladstones gelten, der durch seinen Besuch in Kopen- 
hagen schweres Mißtrauen erweckt habe und gegen den im Reichskanzleramt 
deshalb und überhaupt eine tiefgehende Verstimmung herrsche. Schließlich 
zieht die Times ein und bringt einen Artikel, der von Anerkennung für 
Deutschland förmlich überfließt. Auch andere englische Blätter suchen Deutsch- 
land über den Geniestreich Gladstoner zu beruhigen: die „Pall Mall Gaz.“ 
namentlich erklärt wohl sehr zutreffend, daß, falls Rußland und Deutschland 
sich jemals schlagen follten, England sicherlich weder dem einen noch dem 
andern helfen würde. Das lautet sehr glaublich; aber es schließt nicht aus, 
daß zwar nicht „England“, aber mancher englische Politiker die bezeichnete 
Eventualität gern würde eintreten sehen. Halboffiziöse Außerungen legen 
die Vermutung nahe, daß man in den leitenden Kreisen Deutschlands zwar 
nicht au ein deutschfeindliches Ergebnie der Reise des Hrn. Gladstone glaubt, 
wohl aber an eine dabei im Spiel gewesene Absicht, Anknüpfungen im Sinne 
einer den deutschen und österreichischen Bestrebungen entgegengesetzten Politik 
auf der Balkanhalbinsel zu suchen. 
17. September. (Deutsches Reich.) Der Leiter der unter 
dem 16. August zu Untersuchungen über die Cholera nach Agypten 
gesandten deutschen Kommission, Geh. Rat Koch, erstattet ihren Be- 
richt und spricht den Wunsch aus, ihre Untersuchungen in Indien 
fortzusetzen und zu vervollständigen, was ihr auch zugestanden wird. 
Während die schon vorher von Frankreich unter der Leitung Gasteurs 
nach Agypten geschickte Cholerakommission bereits wieder ohne eigentliches Re- 
sultat dahin zurückgekehrt ist. kann sich die deutsche Kommission eines wesent- 
lichen Resultats rühmen. Der Bericht spricht sich darüber folgendermaßen aus: 
Zie bieher erhaltenen Resultate, soweit sie auch noch von der vollständigen 
Lösung der Aufgabe entfernt und so wenig sie auch noch zu einer praktischen 
Verwertung in der Bekämpfung der Cholera geeignet sind, entsprechen sie doch 
vollkommen dem ursprünglichen Zwecke der Orientierung und gehen insofern 
noch darüber hinaus, als durch den konstanten Befund von charakteristischen 
Mikroorganismen der ersten Bedingung, welche bei der Erforschung einer 
Infektionskrankheit zu erfüllen ist, Genüge geleistet und damit der weiteren 
Forschung ein bestimmtes Ziel gesteckt ist.“ 
17. September. (Preußen.) Die ultramontane „Germania“ 
verkündet, daß der Papst im Einverständnis mit den Beschlüssen 
der preußischen Bischofskonferenz vom 1. August beschlossen habe, 
daß die vom neuesten preußischen kirchenpolitischen Gesetze auch für 
Hilfspriester doch immer noch geforderten Dispense „für die Ver- 
gangenheit und nur für dieses eine Mal eingeholt werden dürften.“ 
Von einer Anerkennung der Anzeige betreffs der Pfarrer, welche die 
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