Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. (Sept. 20.) 133 
Handwerkern zu fördern. Solange wir zum sogenannten „Stimmvieh“ ge- 
rechnet werden, geschieht von keiner Seite etwas für uns 
20.—21. September. (Deutsches neich.) XXI. Kongreß 
deutscher Volkswirte (Freihändler) in Königsberg, zu dem sich 140 
Teilnehmer angemeldet haben. Derselbe faßt nach einläßlichen De- 
batten eine Anzahl von Resolutionen, namentlich über das Ver- 
sicherungswesen und die Zuckersteuerfrage. 
Bezüglich des ersteren spricht er sich gegen jede Verstaatlichung, da- 
gegen für den baldigen Erlaß des durch die Reichsverfassung  verheißenen 
Reichsversicherungegesetze  aus, indem er meint: „Das Versicherungs- 
wesen muß — will es berechtigten Ansprüchen genügen dem mit der 
Entwicklung des wirtschaftlichen Lebens in immer neuen verschiedenartigen 
Formen auftretenden Versicherungsbedürfnis Genüge leisten. Der Staats- 
betrieb im eigentlichen Sinne des Wortes ist ebensowenig wie der sogenannte 
„delegierte“ Staatsbetrieb  im stand, es dem Privatbetrieb  in Bezug auf die 
Erfüllung dieser notwendigen Erfordernisse gleichzutun. Für keinen Zweig 
des Versicherungs aweseus erscheint daher die Beseitigung des Privatbetriebes 
zulässig.“ Bezüglich der Zuckersteuer erachtet der Kongreß die zur Zeit 
geltenden Besteuerungssätze , 50 Proz. des Zuckerwertes, für zu hoch, meint 
aber, „daß in jedem Falle eine angemessene, mindestens mit der Bevölkerung 
wachsende Einnahme gesichert, und daß eine Herabsetzung der bestehenden 
Steuerhöhe in dem Maße angestrebt werden müsse, als dadurch eine Steige- 
rung der finanziellen Ergiebigkeit in Aussicht stehe.“ 
20.—26. September. (Deutsches Reich.) Die großen Kaiser- 
manöver bei Homburg fallen überaus glänzend und militärisch voll- 
kommen befriedigend aus. 
Außer zahlreichen deutschen Fürstlichkeiten und Offizieren fast aller 
europäischen Staaten nehmen auch der König Alfons von Spanien, der König 
Milan von Serbien und der Prinz von Wales daran als Gäste des Kaisers 
teil. Der Kaiser verleiht, wie das unter den regierenden Häusern gebräuchlich 
ist, dem Könige von Spanien bei dieser Gelegenheit ein Regiment und 
zwar ein Ulanenregiment, das z. Z. zufällig in Straßburg garnisoniert, und 
der König erscheint beim goßen Defilee vor dem Kaiser bereits in der 
form seines Regiments. Die Franzosen, welche die andern romanischen Na- 
tionen als ihre geborenen Vasallen ansehen, haben indes schon den Besuch 
bes spanischen Königs in Deutschland sehr ungern gesehen und betrachten nun 
gar die Erteilung und Annahme eines in Straßburg liegenden Regiments 
als eine direkte Beleidigung Frankreichs sowohl von seite Deutschlands als 
von seite des König Alfons, den sie in ihrer Hetzpresse sofort als „le roi- 
ulan“ verhöhnen. 
Die englische Presse ergreift dagegen die Gelegenheit, die Hege- 
monie Deutschlands auf dem Kontinent rückhaltslos anzuerkennen. Man 
gedenkt unwillkürlich des glänzenden Reichstages, den Friedrich Barbarossa 
in Mainz gehalten, wenn man die vielen fürstlichen Gäste Wilhelms I. in 
Homburg zählt. Wenn Kaiser Wilhelm, von Königen und Prinzen um- 
 geben, auf das Manöverfeld reitet, so verkörpert er jene Hegemonie Deutsch- 
lands in Europa. Sie besteht seit dreizehn Jahren, und sie wird ausnahms- 
los, wenn auch mit ganz verschiedenen Empfindungen, zugestanden. Selbst 
jene Völker, die sich nur unwillig in diese Erkenntnis fügen, können sich ihr 
nicht verschließen; sie müssen zugeben, daß die Führerrolle Deutschlands un-