161 Das deutsche Reich und seine einzelnen Glieder. DTez. 4 5.)
gewinnen, die Autorität der Beamten gegenüber der Bevölkerung beein-
trächtigt würde, waxs keineswegs zur Beseitigung der französischen Gesinnung
beitrage. Das Reichsgericht hat 12 eine Entscheidung gefällt, welche ein
Streiflicht auf diese Verhältnisse wirft. Ein elsaß-lothringischer Oberförster,
namens Mang, war von mehreren „Rotabeln“ beleidigt worden, als er eine
Jagdkontravention derselben feststellen wollte. Er stellte deshalb den Straf-
antrag, wurde aber von der elsaß-lothringischen Regierung ausgefordert. den-
selben zurückzunehmen. und als er sich weigerte, „im Interesse des Dienstes“
versetzt. Das Landgericht in Zabern sprach die anf den Antrag des Ober-
sförster angeklagten Personen frei, das Reichsgericht aber hat dieses Erkennt-
nis vernichtet und die Sache zur nochmaligen Verhandlung an das Land-
gericht in Straßburg verwiesen.
4. Dezember. (Baden.) Die Adreßdebatten in beiden Kam-
mern geben Gelegenheit, die allseitige Befriedigung über das Auf-
hören des Kulturkampfes zum Ausdruck zu bringen. Auch die ultra-
montane Minderheit scheint gemäßigt und zurückhaltend auftreten
zu wollen: wenigstens hat sie von der Einbringung eines Gegen-
entwurfs für die Antwortsadresse der II. Kammer Abstand genommen.
Dieselbe ist daher lediglich eine Umschreibung der Thronrede.
Noch nie so wird ausdrücklich hervorgehoben seit vielleicht 40
Jahren ist die Machtvollkommenheit der Staatsregierung und insbesondere
das Recht des höchsten Inhabers derselben zum persönlichen Eingreifen so
sehr betont worden, als in jüngster Zeit, und es scheint fast, als habe man
in Baden das Bedürfnis, das preußische Muster nachzuahmen. Männer, wie
Kiefer, welche ehedem für die parlamentarischen Einrichtungen Englands
schwärmten, sprechen sich heute entschieden für eine „starke und thatkräftige
Regierung“ aus
5.—6. Dezember. (Preußen.) Abg.-Haus: Debatte über
einen Antrag Sterns und der Fortschrittspartei für Einführung der
geheimen Abstimmung auch bei den preußischen Abgeordneten- und
Kommunalwahlen, wie bei den Wahlen zum Reichstage. Der Mi-
nister v. Puttkamer bekämpft den Antrag namens der Regierung
und erklärt sich sogar, zu allgemeiner Uberraschung, für Einfüh=
rung der öffentlichen Stimmabgabe auch bei den Reichstagswahlen.
Die Fortschrittspartei tritt dagegen nachdrücklich für ihren Antrag
ein und wird dabei von den Sezessionisten und Ultramontanen unter-
stützt. Die nationalliberale Partei hat beschlossen, gegen den An-
trag als z. Z. „inopportun“ zu stimmen, aber nicht prinzipiell, da
auch viele der ihrigen aus den industriellen und arbeiterreichen
Kreisen die baldmögliche geheime Abstimmung wünschten und die
Partei, wie ihr Redner Hobrecht energisch erklärt, unter keinen Um-
ständen für die Aufhebung der geheimen Reichstagswahl slimmen
würde. Schließlich wird der Antrag in namentlicher Abstimmung
mit 202 gegen 163 Stimmen abgelehnt. Die Konservativen Stöcker