Full text: Europäischer Geschichtskalender. Vierundzwanzigster Jahrgang. 1883. (24)

Die Oesterreichisch-Ingarische Manarchie. (April 28.) 199 
rücklegen, werden nun zwar in die gemeinsame Armee eintreten und dort 
sofort zu Kadetten ernannt, aber sie werden unmiltelbar darauf als solche 
der Honvedarmee zugewiesen werden. Die Errichtung dieser neuen Mililär= 
Bildungsanstalt ist nicht allein vom militärischen, sondern auch vom politi- 
schen und sogialen Standpunkte von Bedeutung. Es öffnet sich da ein Weg 
zu einer Karriere für die Jugend Ungarns. Die intelligenten und vornehmen 
Familien werden sich nicht mehr scheuen, ihre Söhne der militärischen Lauf- 
bahn zu widmen; die Honvedarmee gewinnt dadurch an Ansehen und sie 
wird für die Ungarn azu einer noch wertvollern nationalen Einrichtung, als 
sie es bisher war. Daß Graf Naday diese Neuerung durchsetzen konnte, ist 
bezeichnend genug; denn dieselbe gestattei den Magyaren, eine chlagferlige 
Nationalarmee von 300,000 Mann zu errichten. 
28. April. (Oesterreich-Ungarn.) Da der Handelsvertrag 
mit Frankreich im nächsten Monat abläuft, so wird mit demselben 
ein Ubereinkommen vereinbart und in Paris unterzeichnet, durch 
welches die bestehende Meistbegünstigungskonvention bis Ende Februar 
1884 verlängert wird. Bis dahin hofft man sich über einen neuen 
Handelsvertrag einigen zu können. Die Aussichten sind indes nichts 
weniger als vielversprechende. 
28. April. (Oesterreich.) Reichsrat: 3. Lesung der Schul- 
novelle. Die Stimmung bleibt dieselbe heftige, ja stürmische, wie 
seit dem Beginn und während des ganzen Verlaufs der Debatten 
über diese Vorlage und bewegt sich wiederholt hart an der Grenze 
des parlamentarisch Zulässigen. Erklärung des Ministerpräfidenten 
Taaffe. Die Abstimmung über die Schulnovelle in 3. Lesung er- 
gibt als Endresultat 170 Ja gegen 167 Nein, also eine Mehrheit 
von nur 3 Stimmen. Unter der Mehrheit sind aber die Stimmen 
von 5 Ministern: das Ministerium Taaffe wäre also ohne die 
Stimmen seiner eigenen Mitglieder in dieser wichtigen Frage in der 
Minderheit geblieben. Die Rechte bleibt denn auch bei der Ver- 
kündigung dieses Resultats ganz still und keine Stimme antwortet 
auf das höhnische Gelächter der Linken und ihre ironischen Zurufe: 
„Nur 3 Stimmen!“ 
Der Abstimmung war die Rechts verwahrung vorangegangen, welche 
die Linke duupr,h Tomaszczuk abgeben ließ. Die Verwahrung besagte in knapper 
Form: Die Linke halte an der Rechtsanschauung fest, daß die Schulnovelle 
eine Verfassungsäuderung enthalte und somit auch in dritter Lesung mit 
einer Zweidrittel-Majorität angenommen werden müsse. Sollte sich eine 
Zweidrittel-Majorität nicht ergeben, dann könne lein affirmativer Beschluß 
verkündet werden, und ein Gesetz, das auf einem solchen Beschlusse beruhe, 
könne nicht als verfassungsmäßig zustande gekommen betrachtet werden. Der 
Präsident Smolta begnigte sich mit der trockenen Erklärung, daß er diese 
Rechtsanschauung nicht teile und auch bei einfacher Majorität das Gesetz als 
angenommen erklären werde. In der That eine einfache und praktische 
Methode, so einfach und praktisch, daß man ebensogut sofort die ganze Ver-